Sturmflut
Ein Gedicht von
Annelie Kelch
Der alte Sturmgott kommt meist über Nacht,
als müsse er vor uns sein schändlich Werk verbergen.
Am Tage hat er seine Missetag meist schon vollbracht.
Wir schreiten bald schon hinter vielen Särgen.
Den Regen peitscht er in das gut bestellte Land;
es schäumt aus feisten Mäulern hoher Riesenwellen.
Ein greiser Dämon lässt sie hochschnellen aus seiner Hand,
haust wie ein Schreckgespenst in lieblich stillen Quellen.
Die Möwenwolken stürzen angsterfüllt vom Besanmast,
paar Schiffe torkeln und zerschellen kurzerhand am Kai.
Wer kennt weder Besonnenheit, wer prasst und hasst?:
Der Sturmgott – er ging justament am Pier vorbei.
Das Vieh hinter den Deichen ist in großer Not,
der Sturm zerrt es in häuserhohe, kalte Wellen.
Am Morgen sind die Wiesen leer, die Rinder tot,
derweil die großen Priele unaufhörlich überquellen.
Ich stehe stundenlang am Fenster, hoffe, warte ...
Ein jeder Spuk hat irgendwann einmal ein Ende!
Des Fischers Frau von nebenan, die junge Marthe,
hat hastig flüsternd zum Gebet gefaltet beide Hände.