Schnee – ohne Ahnung von Liebe
Ein Gedicht von
Annelie Kelch
Vorgestern: Schnee über Schnee;
der Wind seufzte lauter als sonst
im kahlen Geäst der Bäume:
Sie erinnerten mich –
an Schaufensterpuppen ohne Kleider.
Mein blauweißer Schirm schnappte
dreimal über – ich versprach ihm
eine Therapie, falls er durchhielte
bis zum bitteren Ende; denn Schnee
fiel leis auf Schnee und begrub
meine Sehnsüchte und die langen
Schatten der Straßenlaternen.
Weißer noch machte er die
weißen Haare der alten Frauen
und Männer, und das Auge des
Zaunkönigs weinte vor Kälte.
Der Abend kam und noch immer
erbrach der blasse Himmel Schnee
um Schnee; mein Blick irrte durch
leere Gärten. Die Straßen waren weiß
und glatt und die Menschen einsamer
denn je und weniger bodenständig.
Doch auch Erleuchtung schlug sich
durch die Dämmerung: der Mund
einer jungen Verstorbenen sprach
zu mir in einem Winternachtstraum.
Den Kummer abstreifen wie den Schnee
vom Mantel – und in guter Gesellschaft
schweigen dürfen: Wer möchte das nicht
für eine Weile.
Einst blendete uns die Schönheit
der Rosen; nun blendet der Schnee:
Das sozialste Begräbnis für alles und nichts.
Für alles und nichts will
auch ich einmal sterben, sterben
würd ich für dich, selbst wenn
du es nimmer verdientest.
Doch vorher muss ich dich finden ...
in diesem Schneegestöber,
das keine Ahnung von Liebe hat.