Klage eines Dienstmädchens
Ein Gedicht von
Annelie Kelch
Wie meistens kam der Herr Direktor heute später heim;
beim Abendessen gab es deshalb reichlich Zoff;
die gnäd᾽ge Frau war aufgebracht und sehr gemein
und prüfte wenig später seinen Anzugstoff,
… fand einen Hauch von rosa Lippenstift am weißen Einstecktuch
und machte eine bitterböse Szene:
scheuchte den Herrn Direktor von dem Kanapee - er las in einem Buch
und brüllte: Mach mal halblang, Magdalene!
Das habe Fräulein Knaust ihm vor der Sitzung noch gerichtet,
die habe ständig Farbe an den Händen,
wer anderes behauptet, habe schlecht gedichtet;
er wolle endlich Ruhe in den eigenen vier Wänden.
So geht das Tag für Tag und Nacht für Nacht ,
ich mittenmang, weiß bald nicht mehr, wo mir der Koppe steht.
Zum Glück hat er ihr noch kein Kind gemacht,
worum sie ihn in schwachen Stunden angefleht.
Dann fiele mich das Unglück doppelt an;
ich hätte keine ruhige Stunde mehr,
denn schließlich ist ja auch der Herr Direktor nur ein Mann
und obendrein der größte Schürzenjäger,
den ich kenne; wenn die Frau Direktor wüsste, was ich alles weiß,
und dass ihr Gatte nachts mich oft besucht mit albernem Gekicher,
dann müsst ich meine Sachen packen auf der gnäd᾽gen Frau Geheiß
und wäre keinesfalls vor seinem Fußtritt sicher.