Herbstmund
Ein Gedicht von
Annelie Kelch
Kostbare Stunden raubt uns der Herbst –
aber noch immer tragen wir
das Grün der Sommerwiesen
in unseren Herzen.
Es welkt, wenn kein Vogel mehr singt
und das Lied der Wälder verstummt.
Unsere Wangen sind bleich vor Trauer,
Schlaf senkt sich über die stillen Dörfer.
Das Ufer versinkt im Fluss
und du schaffst es nimmer zu mir.
Der graue Nebel wirft seinen Schleier
über mich. Er macht mich unsichtbar und ich singe
das alte Lied – „Bella Ciao“: „O Partisan, bring mich fort.
Es wird Winter, und ich fürchte, bald zu sterben.“
Das Leben ist auf der Flucht –
selbst den kleinen Schornsteinrauch
zieht es in wärmere Länder.
Auf den Bahnsteigen sagt man „Adieu“.
Niemand glaubt an ein Wiedersehn,
nicht in diesem Jahr – oder nie.
Auch du standest neben dem Gleis
eines Nachts im Herbst und hast geweint.
Ich wusste, du wolltest die Stadt nicht verlassen ...
Jeden Morgen überfällt mich der gleiche Traum:
Aus deinem Herbstmund schäumen
die welken Blätter der Rosen.
Du redest wie sie: Das alte Jahr
steht mit einem Fuß im Grab
und in deinen Augen liegt schon
das Feuerwerk seiner letzten Stunde.