Halleluja ...
Ein Gedicht von
Annelie Kelch
Und plötzlich dringt jenes Lied an dein Ohr:
Ohne Vorwarnung, mitten in der Stadt
Taubenmelodie, geheime Akkorde
auf einer E-Gitarre neben
dem Marzipan-Café … wow!
Der Sound steigt dir sofort zu Kopf
trägt dich wie auf einer Sänfte durch die Menge
Du kämpfst vergeblich dagegen an
schwebst wie auf Wolken
Der Nachmittag – ausgebreitet
zu deinen Füßen
Die Quarte, die Quinte
Moll runter, Dur rauf*
Halleluja –
O Lied, das niemals verklingen soll ...
Und dann siehst den, der dein Lied singt:
abgehackt und verfremdet, ohne Stimme
Trotzdem bleibst du stehn
und starrst wie gebannt auf seine Hände,
die die Saiten der Gitarre zupfen,
die angespannten Sehnen
neben den Tatoos auf seinem Hals
Die Quarte, die Quinte
Moll runter, Dur rauf
Halleluja –
O Lied, das dich gefangen hält ...
Wirfst einen Blick in die Runde:
Gesichter ohne Hingabe –
dein verrücktes Herz öffnet sämtliche Pforten
Alles, was aus Liebe geschieht, darf geschehen
Du bist Eva, die um Kain trauert
du bist erschlagen worden wie Abel
Du verteilst Flugblätter wie Sophie
treibst im Landwehrkanal wie, ach ...
Ein Baum spaziert durch die Straße
eine weiße Wolke lässt sich neben dem
Alten auf der Bank vor dem Rathaus nieder
Die Quarte, die Quinte
Moll runter, Dur rauf
Halleluja –
O Lied, darin ein Feuer schwelt
Verdammt, ich möchte ihm den Mund zuhalten
er soll gefälligst aufhören zu singen
schräge falsche Töne
mit denen er Sehnsucht erzeugt
Das macht mich fertig
an diesem heißen Tag
Kain hat mich erschlagen
Ein Sarg mit Rädern rollt vorbei
Der Baum der Erkenntnis, der Tod,
spaziert durch die Straßen
zwinkert mir zu
Jene weiße Wolke weint ...
Ich bete für Abel:
Die Quarte, die Quinte
Moll runter, Dur rauf
Stehe einfach nur da
und rühre mich nicht vom Fleck
Halleluja –
O Lied, das mich zu Grabe trägt