Ausflug im Dritten Jahr
Ein Gedicht von
Annelie Kelch
Mein dritter Sommer:
Über der Elbe liegt Sonne,
Sterne tanzen auf dem Wasser. -
Sie macht sich fein,
verpasst mir ein dunkelblaues Trägerröckchen,
den rot-weiß gestreiften Pulli,
weiße Söckchen und schwarze Lackschuhe.
Ich darf das Knetgummi nicht mehr anfassen,
muss 'sauber' bleiben.
Wir gehen zum Leuchtturm, den lieb ich,
dort hält der Bus – ich stolpere auf den
Stufen, der Busfahrer schaut streng;
sie bezahlt, wir fahren an der Kaserne vorbei;
gegenüber steht das Haus meiner Patentante.
Frau Taube, hinter Hatschis Kneipe, hinter
der Kurve, hinter Kahlkes Strohdachkate,
näht – dunkelblaue Trägerröckchen für
kleine und große Mädchen - mein Pulli kratzt.
Blomesche Wildnis – wir steigen aus,
spazieren zum Amt - wegen des Taufscheins.
Wir haben lange, lange gewartet,
dass Großvater käme aus Schleswig an der Schlei,
sollte mein Pate werden, wurde krank,
schaffte es nimmer, starb uns weg -
noch vor der Taufe.
Hab' ihn nie kennengelernt, den Schneidermeister
aus Stettin, der niemals Fahnen aus seinen Fenstern
wehen ließ, wenn drunten, auf der Straße, Hitlers Schergen
vorbeimarschierten. - Die Fahnen, sie gammelten vor sich
hin in irgendeiner Ecke des Kohlenkellers; er schätzte seine
jüdische Kundschaft weitaus mehr als Hitler, den er verachtete.
Das Foto, darauf er Schach spielt mit seinem Freund:
Ich habe es nicht mehr im Besitz, aber oft vor Augen.