Coming Out
Ein Gedicht von
Anneli Förster
Coming Out? Heraus kommen? Wo komme ich heraus? Ah ja.
Als erstes aus dem Bauch meiner Mutter.
Eine Frau, mir wohl bekannt, schon als ich im Bauch war.
In ihr war es warm und weich und geborgen.
Ich wollte nicht raus, doch ich musste in diese feindliche Welt. Hinter allen Ecken und Kanten lauerte ein Gefahr.
Da gab es Männer. Meinen „lieben“ Vater.
Ich war schutzlos, versuchte mich in meiner „kindlichen Weiblichkeit“ zu schützen.
Vergebens. Die Gefahren drohten mich zu ersticken.
Coming Out? Aber wie?
Ich wollte aus dieser Gefahrenwelt heraus. Bloß wohin?
Ich war im Kinderheim. Dort waren nur Frauen, die uns erzogen, wuschen und mit uns spielten.
Ich fühle mich sehr wohl.
Zumal da eine Frau war, die immer mit mir Krankengymnastik machte.
Ich freute mich auf die Stunden, weil ich dann mit ihr ganz alleine war.
Die Übungen waren langweilig, aber ihre Nähe war spannend.
Einmal saß ich auf der „Pritsche“ und baumelte mit den Beinen.
Irgendwie war ich etwas traurig.
Sie kam und sah es, nahm mich sanft in den Arm und streichelte mir den Rücken. Oh, tat das gut!
Am liebsten hätte ich nur das von ihr gehabt und nicht die alberne Übungen.
Sie schaute mir in die Augen und meinte:
„ Du hast hübsche Augen und pass mal auf, wenn du älter bist und dich etwas schminkst, dann werden die Männer hinter dir her laufen.
Ich wusste noch nicht, was sie damit meinte.
Ich war nur von ihren Worten „hübsche Augen“ angetan und von ihrer sanften Stimme.
Ich konnte die KG-Stunden gar nicht mehr erwarten.
Lass sie doch an meinen Armen und Beinen herumkneten.
Hauptsache, sie war mit mir alleine in den Raum und ich konnte sie angucken und ihr helles Lachen genießen.
Coming Out? Nein, da wollte ich nicht raus, aus dieser Welt, in der nur Frauen um mich herum waren und ich mich geborgen gefühlt habe.
Doch ich würde älter und musste in ein Heim für erwachsene. Ich war verwirrt und fühlte mich wie in einem kalter Fluss mit ganz vielen Strudeln. Die Gefahr zu ertrinken, war sehr groß.
Männer jagten hinter mir her. Ich fand das geil – in dem Moment.
Ich hatte viele Männerbeziehungen nebeneinander, durch einander, kreuz und quer. Es war eine Überlebensstrategie.
Immer waren zwischendurch Frauen in meinem Leben. Ich merkte, dass sie mir viel wichtiger waren als alle Männer.
Was das für mich bedeutete, wusste ich lange nicht bis... Sanni stand vor der Tür.
Mein Herz hüpfte von der Fußsohle bis zur Kopfspitze. „ Nein, du spinnst, hör auf“.
Sanni war eine Studienkollegin und zog für kurze Zeit bei mir ein.
Das Herzklopfen hörte nicht auf.
Diese Gefühle kannte ich bislang nur, wenn ich verliebt war.
Aber sie war doch eine Frau! Darf ich Frauen so lieben wie Männer?“
Ich war verwirrt und sprach mit Sanni kein Wort darüber.
Aber warum soll ich nur Männer lieben?
„Es ist doch egal, ob Mann oder Frau.
Es kommt auf den Menschen an.“ So, jetzt war ich erst mal ein bisschen beruhigt.
Coming out? Irgendetwas spürte ich ... na .... lieber noch nicht hingucken.
Ich machte weiter in alten Muster.
Doch ich wurde sicherer und merkte, ich spiele mit den Männern.
Im großen und ganzen verlor ich die Angst vor ihnen, bis auf einen.
Er hatte so viel Macht ausgeübt, dass er mir den Spaß und die Freunde nahm, mich in Männer zu verlieben.
Ich heiratete ihn. Er „schenkte“ mir einen Sohn.
Darüber war ich glücklich.
Coming out? Ja, hier wollte ich mit meinem Sohn raus.
Und mein Glück war, dass immer wieder wichtige Frauen durch mein Wirrwarr lugten.
Frauengruppe war Thema. Es war Mode, in eine Frauengruppe zu gehen, so wie Männer in ihre Stammkneipe.
Ich merkte wieder, wie wohl ich mich unter Frauen fühlte.
Geile Anmache gab es hier nicht,! Meinen Körper konnte ich so zeigen, wie ich wollte, verhüllt oder sexy.
Es gab in dieser Hinsicht kein Konkurrenzdenken unter einander – Gott sei Dank.
Endlich wagte ich Fragen zu stellen, und die hatte ich sehr viele.
Politik, Power, Demos, Musik, Gesänge, Infotische und viel Gelächter und ... immer in die andere Welt – Männerwelt - zurück.
Ich merkte, dass ich die Frauengruppe wie eine Batterie benutze.
Ich schöpfte die Kraft daraus, um in der anderen Welt existieren zu können.
Coming Out? Ich bekam es bei einer guten Freundin mit.
Sie war verheiratet, genau wie ich.
Ihre Liebste kannte ich sehr gut und beiden lebten es wie selbstverständlich, in meinen Augen.
Aber was hieß dieses „ es“? Was machte „es“ aus?
- Ach, es betrifft mich ja doch nicht - aber jetzt wurde ich immer noch neugieriger.
Coming Out? Ja, jetzt weiß ich, wo ich hin will!
Nehmt mich auf, lasst mich rein! Meine Rufen wurden erhört.
Mia stand vor mir.
Ihre braunen großen Augen, ihr Lächeln auf den Lippen, ihren warmen Körper und ihre festen Arme werde ich nie und nimmer vergessen.
Jetzt wusste ich, wonach ich mich immer gesehnt hatte.
Jetzt wusste ich, was ich haben wollte, was ich leben wollte, wo ich hingehörte.
Gehöre ich wirklich da hin? Es ist immer noch nicht der richtige Platz.
Warum nicht, fragt irgendwo eine Stimme.
Weil ich gemerkt habe, dass in der „Frauenwelt“ viele Männerstrukturen herrschen, die mich ganz kirre machen.
Da wollte ich doch raus.
Ich war vom Regen in die Traufe gekommen.
Das schlimmste, was ich erlebt habe war, dass ich mit meinem Sohn, der damals zwei oder drei Jahre alt war, nicht überall hin durfte, in der Frauenwelt.
Mit einer Tochter wäre alles anders.
Coming Out? Ja, hier wollte ich auch raus, aber nicht ganz.