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Gedichte über Familie - Seite 49


Das sterbende Kind '19

Das sterbende Kind '19
Es schreit „Hilfe“, aber niemand hilft.
Es schreit „Du da!“, aber niemand ist ‚du da‘.
Es schreit „Notfall“, aber nicht in ihren Augen.
Es schreit „Sterbe!“.

Und abends auf dem Sofa, die Alten und die Jungen starren entsetzt auf den Fernseher.
Die Frau in rosaroter Bluse erzählt von einem Mädchen, unserm‘ Mädchen.
Es starb auf der Straße unter tausenden von Menschen, die hätten helfen können.
Aber was wichtig war musste man erledigen, denn was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen und weil heute noch was ansteht, sonst wird es zu spät.

Und da war der Eintopf für den Mittag vielleicht wichtiger als das sterbende Kind.
Denn es war viel zu tun, zu viel zu tun und Zeit ist Geld, ja Zeit ist Geld. Zeit ist Geld … und weil Zeit Geld ist will jeder alles noch heute besorgen, denn was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen, weil Zeit Geld ist und Geld Zeit ist und alles nur für Große sinnvoll ist und richtig!
Und das sterbende Kind, es liegt auf der Straße, ganz allein und es schreit sich die Seele aus dem Leib, aber doch nicht über Zeit und Geld und über was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.

Die Leute sagen: Kinder schreien immer – wie nervig! Tag und Nacht.
Aber… hast du die Wunden nicht gesehen? Hast du die Verzweiflung nicht gesehen? Hast du die Angst nicht gesehen?
Papperlapapp!

Und da war das kaputte Fenster vielleicht wichtiger als das sterbende Kind.
Und die, die nichts hören wollen, stellen vielleicht den Fernseher lauter, denn ihre Probleme sind eh viel wichtiger.
Die Frau, die sich geschnitten hat und der Sohn mit der Note drei in Deutsch. Aber wahrscheinlich sind der Schnitt und die Note wichtiger als das sterbende Kind.
„Ist nicht unser Kind, soll es machen, zu was es bestimmt.“
Aber da ist keine Bestimmung. Da ist keine Zukunft.

Denn mit ‚was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen‘ und ‚Zeit ist Geld, Geld ist Zeit‘ kann sie nichts mehr anfangen.
Und weil die Menschen ihre Zeit zu Geld gemacht haben und weil sie das, was sie besorgen mussten, nicht auf morgen verschoben, essen sie jetzt vom Feinsten.
Und weil das Kind nur geliebt werden wollte, liegt es im Dreck.

Das sterbende Kind, das sterbende Kind.

Ihr Vater macht es ebenso und damit geht’s ihm gut.
Doch seine Tochter liegt auf der Straße, sie liegt dort in ihrem Blut.
Und während es dämmert und sie sieht die Sonne untergehen, sie gibt ihm noch eine Sache zu verstehen. Als Vater versagt, die Mutter war weg und das einz’ge Kind, es auf der Straße verreckt. Doch da war der Kunde im Laden vielleicht wichtiger als das sterbende Kind.
Und der Eintopf und das Fenster und die Noten und der Schnitt.

Eine Umarmung oder ein Kuss? Das ist zu viel verlangt.
Denn da waren der Eintopf, das Fenster, die Noten und der Schnitt vielleicht wichtiger als das sterbende Kind.

Es schreit „Liebe mich“, aber er kann es nicht.
Es schreit „Vater“, aber er hört sie nicht.
Es schreit „Mama“, aber es ist nur ein fremdes Wort.
Welche der Frauen soll das schon sein? Die Hebamme, die die es austrägt oder die Erzieherin?

Und da war die Suche nach der Bedeutung vielleicht wichtiger als das sterbende Kind.
Und deswegen erliegt das sterbende Kind – auf der Suche nach ein wenig Liebe!
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Trost zum Tod

Trost zum Tod

Wenn ich in diesem Moment an Dich denke, spielen wunderschöne Erinnerungen sich wie ein persönlicher Film in meinem Kopf ab.
Momente, die ich aufgesogen habe, wie ein Schwamm.
Augenblicke, die wie kleine, helle Sterne in den dunkelsten Nächten scheinen.
Wenn ich in diesem Moment an Dich denke, vermisse ich alles.

Aber ich bin auch dankbar.
Denn der Weg, den wir gemeinsam gegangen sind, hat mir gezeigt, dass das Leben ein Geschenk ist, für das wir täglich dankbar sein sollten.
Jemanden zu verlieren, den man liebt, lässt uns Emotionen spüren, für die es keine passenden Worte gibt. Es ist eine unmessbare Leere, die sich im Herzen ausbreitet und sich von da aus durch den ganzen Körper schleicht. Sie lähmt uns, macht uns blind und taub und für diesen Augenblick sind wir der Welt so fern wie nie zuvor.

Als der Moment gekommen war, an dem wir loslassen mussten, haben wir es einfach getan. Nichts fühlte sich so schlimm und so gut zugleich an.
Wir waren wütend über unsere eigene Machtlosigkeit, über vertane Erlebnisse und über die Tatsache, das Worte niemals fassen könnten, was wir alles noch zu sagen hatten.
Und wir waren dankbar.
Dankbar, dass der Albtraum ein Ende fand, dass ein Gesicht, welches zuvor von Schmerz gezeichnet war, nun so friedlich aussah und dass wir die verbliebene Zeit gemeinsam verbringen durften.
Als wir das Krankenhaus nach Jahren zum ersten Mal wieder ohne einen weiteren Termin in Aussicht verließen, schien die Sonne auf das Dach des Foyers.
Und plötzlich war uns im tiefsten Inneren bewusst, dass alles gut werden würde.

Wir lebten schon seit einer gefühlten Ewigkeit in einem Sprudel voller Emotionen, die so viel von uns in Anspruch nehmen, dass es sich anfühlte, als wäre die Zeit stehen geblieben.
Alles zog an uns vorbei und nichts nahm Rücksicht darauf, dass wir selbst gar nicht hinterher kamen. Wir waren plötzlich mit vielen Dingen beschäftigt von denen sich alle anderen Menschen schützend fern hielten. Dann fühlte es sich an, als würden die engsten Freunde plötzlich eine ganz andere Sprache sprechen. Und als würden wir uns nun nicht mehr verstehen können.
Monatelang haben wir gekämpft, gehofft, gelacht und geweint. Wir waren wie Profis im Medikamente zusammen stellen, Diagnosen verstehen, Behandlungswegen folgen und wir kannten das Krankenhaus blind. Wir wussten all die Ärzte beim Namen, waren durch jeden Flur gelaufen und an jeder Blume des Krankenhausparks vorbeigekommen. Wir hatten sämtliche Körperflüssigkeiten aufgesammelt, nächtelang wach gelegen und uns immer wieder gefragt, was Gott sich bei all dem dachte.

Und das sollte nun alles vorbei sein? – Unmöglich.

In stundenlangen Gebeten und dem Wälzen sämtlicher Bibeltexte hatte ich nie eine zufriedenstellende Antwort auf all meine Fragen erhalten.
Wie bei so vielen Menschen vor mir kreiste eine Frage jahrelang in meinem Kopf herum: „Was soll das denn bitte für ein Plan sein?!“
Als mir die Sonne mitten im Dauerregen-November vor dem Krankenhaus-Eingang auf den Kopf schien, fühlte es sich ungefähr so an, wie wenn man als Kleinkind mit aufgeschlagenen Knien in die Arme der Mutter sprang.
Die Verletzung schmerzte unheimlich, aber man fühlte sich dennoch geborgen – und man war sich sicher, dass nun alles besser werden würde.

Irgendwann, viel viel später, sprach ich mit einer Ordensschwester über genau dieses verrückte Gefühl von Geborgenheit.
„Für manche Dinge dieser Welt“, sprach sie, „haben wir keine Erklärungen.
Menschen brauchen Begriffe; Wörter, Bilder, Töne, Gerüche, etwas, dass sie mit dem Verstand erklären und mit den Sinnen wahrnehmen können. Aber das Leben liefert uns nicht immer einen Beweis. Manchmal fühlen wir etwas und darauf müssen wir einfach vertrauen.“

Jemanden zu verlieren, den man liebt, lässt uns Emotionen spüren, für die es keine passenden Worte gibt.
Es ist ein unbeschreibliche Schmerz, der sich im Herzen ausbreitet und von da aus mit Krawall und Gebrüll durch den ganzen Körper schießt. Er lähmt uns.
Niemals werden wir einen Weg finden, diesem Schmerz zu entgehen. Wir werden keine Wunden heilen können, so wie es mit den aufgeschlagenen Knien funktioniert.
Aber wir werden wissen, dass dieser Schmerz existiert, weil die Liebe es auch tut.
Dass es jemanden gegeben hat, der unser Leben um das Unermessliche bereichert hat. Dass wir diesen Schmerz empfinden, weil wir wahrhaftig gelebt haben. Und wir werden es irgendwann wieder tun.
Manchmal, wenn ich nun in den Himmel schaue, spüre ich, dass Du nie so richtig gegangen bist. Durch unsere gemeinsamen Erlebnisse bleiben wir verbunden. Dafür brauche ich keinen Beweis.

Ich vertraue darauf.
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