Nachts brannten die Scheiterhaufen

Ein Gedicht von Marcel Strömer
Wie eine Geige Stimmenwirbel, leichtgängig und doch wirr, so strich der Wahnsinn wie aus Millionen von hungernden Blumenzungen, in den zähesten Farben des Schauderns und der Nadelproben über Atemweg und Blutbahn. Weiss, grau und pechschwarz. Schwerwiegend, die große Not, die dem Hungertrieb nach Liebe geschuldet und durch Mangelerscheinung von allgemeiner Freiheit direkt ins Elend mündete. Aus Sicht der Magie und Zauberkunst galt es bei der Beschwörung deshalb darauf zu achten, das Numen eines ausgesprochenen Eides zu binden und das ihm anhaftende Böse zu lösen. In den Heilsprüchen lauerte die eigentliche Gefahr. So hieß es im Volksmund, der Teufel schläft nicht und entsteht im Detail und ausschließlich im Kopf. Um sich eines Dämon zu versichern, war es also nötig, alle seine Namen zu kennen. So zählte man bei Tag wie bei Nacht und klammerte nicht einen einzigen Schatten der Unlebendigen aus. Herbeigerufen wurden sie in regelmäßigen Abfolgen, abermals dunkle, doch sehr wache Geister, leidgeschwärzt, gleich fallender Sterne, die zuerst freundlich dann aber augenblicklich blind vor Wut aufzuschäumen drohten, als könnten sie wie heisser Teer auf die dornengekrönten Häupter der kaltgeborenen Seelen niederprasseln. Verhaftet in Niedertracht erteilten sie wahllos Schuldsprüche, dem vermeintlichen Gemeinwohl ergebend, die des kollektiven Untergangs. Ein letztes Mal in eifernder Rachsucht indes eigenen Vermächtnisses auf ihr verpasstes Lebensglück aufzuglühen, unterm Verbrennungsholz zu schmachten, wohlgesinnt dem Schmerz, der wie ein kurzgemeiner Frühling gemeint, die Todessehnsucht in ihre Gesichter zu zaubern wußte. Täter, Opfer und Zeugen in einem, blutgesalbt und ölgetränkt, im schweren Duft der Feuerbrunst ausgeliefert, bekamen sie ihre Zeichen aus wundgeschlagenen Mutter- und Leberflecken. Durch diejenigen Kräfte herbeigeführt, die sich an das Gebimmel der Kirchenglocken herzhängend, himmelverweisend, im Begehren der strafenden Verheißung entgegenfieberten. "Bereut oder erfriert!", verkündete das Oberhaupt der Heilsbringer sein Urteil, gewaltig, wie aus dem Donner von Kanonen entsprungen. Da aber stand das Volk zusammen, als ein Haufen lachender Hunde. Sie waren verzaubert von soviel Macht und Klarheit. Sie applaudierten den Siegern und verneigten sich tief, schmähten die Verlierer und urteilten mit menschenverachtender Leichtigkeit über Leben und Tod. Ihre Wörter entsprangen aus ferngesteuerten Flüstertüten. Sie sangen, jauchzten und tanzten. Denn eines wußten sie nicht so genau. Zuerst kommt der Tod der Ernte auf den Feldern. Dann folgt der Tod auf den Scheiterhaufen.



© Marcel Strömer
(Magdeburg, den 29.04.2017)

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Informationen zum Gedicht: Nachts brannten die Scheiterhaufen

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29.04.2017
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