Leidenschaftsloser Automobilist und begeisterte Radler
Etwas über einen leidenschaftslosen, radfahrenden Autofahrer, die Straße und das Automobil
Wie ich feststellen durfte, sind mir, als radfahrendem Mitglied der zivilisierten Gesellschaft, durchaus interessante Einblicke in den Raum gestattet, der sich zwischen der Kultur im ländlichen Raum und der Ästhetik der Straße auftut. Unterwegs in Belgien ging mir das durch den Kopf. Woher rührt die positive Besetzung, woher kommt das tolle Gefühl, das mich als Radfahrer auf Tour in Atem hält?
Zu dem meist schwarzen Band aus Asphalt hat man in der Rolle als Fußgänger oder Radfahrer ja üblicherweise eine andere Einstellung, als ein Motorradfahrer oder jemand, der hinter dem Steuer eines Kraftfahrzeugs sitzt. Ich möchte an dieser Stelle etwas ausholen und gestatte mir, in Form eines lockeren, ansatzweise geordneten „Brainstormings“ etwas des Wissens zu vermitteln, das zu diesem Thema für Jedermann frei verfügbar ist. Dazu sei es mir gestattet, ein wenig meiner eigenen Lebenseinstellung zu vermitteln.
Pfade, Wege und Straßen
Pfade, Wege und Straßen sind mit der menschlichen Kultur eng verbunden. Pfade teilen wir seit Urzeiten mit den Tieren, die auf ihnen durch die Natur ziehen. Wege legen wir an, wir beschreiten oder befahren sie mit unseren meist motorisierten Fahrzeugen. Im fachlichen Terminus des Verkehrsplaners wird der Begriff „Weg“ übrigens nur für Straßen benutzt, die für den Verkehr mit nicht motorisierten Fahrzeugen und Fußgängern bestimmt sind.
Die Definition des Begriffs „Straße“ ist ganz interessant. Die Straße, ein feminines Substantiv, steht oft beschreibend für ganz verschiedene Sachverhalte. Zum Beispiel dafür, dass jemand seinen Job oder seine Wohnung verloren hat, dann „steht er auf der Straße“, aber auch für Personen, die gegen etwas demonstrieren „Sie gehen auf die Straße“.
Zu Dingen, die im Überfluss vorhanden sind sagt man häufig, „damit kann man eine Straße pflastern“.
Mit „Straße“ werden aber auch Meerengen bezeichnet: die Straße von Gibraltar beispielsweise, zwischen dem Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean.
Mit dem Substantiv „Straße“, das von „strata“, der lateinischen Bezeichnung für einen gepflasterten Weg abgeleitet ist, werden im allgemeinen Sprachgebrauch Luftstraßen oder genauer: Flugverkehrsstrecken, Wasserstraßen und Schienenwege, Autobahnen, Bundesstraßen, Landstraßen, Kreisstraßen und landwirtschaftlich genutzte Wege bezeichnet, wobei die Aufzählung bei weitem keinen Anspruch auf Vollständigkeit besitzt.
Flugzeuge, Hubschrauber, Schiffe, Eisenbahnen, Lastkraftwagen, Motoräder und Kraftfahrzeuge, aber auch Radfahrer und Fußgänger nutzen sie im Nah- und Fernverkehr, zu kommerziellen und privaten Zwecken, mit beruflichem Hintergrund und zur Freizeitgestaltung.
Straßen zerteilen Städte und Landschaften, machen sie zugleich aber auch zugänglich. Die Straße ist meist ein öffentlicher Raum, sie endet vor unserer Haustüre. Nicht viel anderes ist uns räumlich so nahe wie die Straße. Da wo Straßen aufhören, wo es keine mehr gibt, finden sich die Grenzen unserer Zivilisation und mit diesen die unserer Kultur, möchte man meinen.
Die Straße ist ein Raum von überragender Bedeutung für unser tägliches Leben. Eine Ader, in der die Gegenwart pulsiert, ein Ort, der einen nicht enden wollenden Strom von Reizen produziert, der unser Gehirn damit überflutet. Das Geschehen auf ihr wird irgendwann ausgeblendet, wir nehmen es als solches kaum noch wahr. Lediglich dann, wenn etwas nicht funktioniert, wenn auf der Straße etwas passiert, merken wir auf und reagieren sensibel, nehmen ihren Einfluss auf unser Leben bewusst wahr.
Die Straße ist ein unsteter Ort, man muss sich vor ihr verwahren, scheint es. Auf der Straße leben neben und mit uns die Straßenkinder.
Auf der Straße unterwegs
Ein paar Zahlen
In Deutschland misst das gesamte Straßennetz ca. 644.000 km, auf der ganzen Welt fanden sich vor einigen wenigen Jahren über 29,5 Millionen Kilometer dieser Verkehrswege. Alleine in den USA verzeichnete man im Jahr 2008 ein Straßennetz in der Länge von 6.506.204 Kilometern. Viel Platz für die Autofahrer, könnte man meinen.
Weltweit zählt man gegenwärtig ca. 1,3 Milliarden Kraftfahrzeuge. Rechnerisch, wenn alle Autos in eine Richtung fahren würden, ständen für jedes Automobil ca. 22,69 m Straße zur Verfügung. Da die Fahrzeuge aber die meiste Zeit unbenutzt sind, auf Parkplätzen und in Garagen stehen und man sie niemals gleichzeitig auf der Straße findet, sie in beide Richtungen fahren, die Verkehrswege oft über mehr als zwei Fahrstreifen verfügen, durch unterschiedliches Verkehrsaufkommen bei Tag- und Nacht, den dichten Verkehr in Ballungsgebieten und die entspannte Lage in ländlichen Räumen, lässt sich mit dem Straßenverkehr in vielen Regionen noch ganz gut leben.
In Deutschland existieren übrigens ca. 57 Millionen PKW-Führerscheine. Man zählte 2019 in Deutschland etwa 81,9 Millionen Bundesbürger, die sich in ca. 41,5 Millionen privaten Haushalten organisierten. Ein Drittel davon, ca. 14 Millionen Haushalte, waren autofrei.
Es gibt kaum etwas in unserer Zivilisation, das wir häufiger nutzen als die Straße. Wollen wir etwas Einkaufen, wollen wir jemanden besuchen oder wollen wir in die Natur, dann geht es über die Straße dorthin. Wer kennt es nicht, das Stimmungshoch, das Gefühl von Freiheit, das uns aufrichtet, wenn wir uns auf´s Motorrad oder ins Auto setzen und den halben Tag durch „die Welt“ gondeln, beispielsweise auf der Suche nach schönen Orten und Fleckchen der Ruhe und Entspannung.
Vollklimatisiert und schallgedämpft, nach Maß beschleunigt und verzögert bewegen wir uns in unseren Fahrzeugen, inzwischen fast alle in der Luxusklasse, durch die Weltgeschichte, faszinieren uns an der Landschaft und lassen es uns gut gehen.
Einzig gibt es da das Problem, dass in unseren westlichen Kulturkreisen so viele Menschen auf diese Art unterwegs sind. So viele Menschen lassen sich in ihrer Freizeit ganz und gar auf die Nutzung des Autos ein. Wir sind zu einer motorisierten Freizeitgesellschaft degeneriert, die große Teile ihres Lebens auf der Straße zubringt. Zwischen etwa 30% und 45% der Erwachsenen nutzen das Automobil mindestens einmal pro Woche ausgiebig in ihrer Freizeit.
Niemals ist der Autofahrer in Ruhe, niemals ist er wirklich alleine unterwegs. Er ist aber stets von der Vorstellung gefangen, dass sich die Welt um ihn herum im Wagen genussvoll erkunden ließe. Dabei trifft der Autofahrer weder die Entscheidung für eine Tour als einzelne Person, noch führt er ein solches Abenteuer als einzelne Person aus, immer entscheiden sich andere Fahrzeugführer zusammen mit ihm. Es bleibt dem Autofahrer stets nur die bange Frage: Wie voll sind die Straßen heute? Wie sieht es an meinem Ziel aus?
Letztlich hat der Autofahrer kaum mehr die freie Entscheidung, wann und wohin er fährt, es sei denn, ihm liegt an einem Bad in der Masse der Menschen.
Der Weg ist das Ziel. Wie soll das der Autofahrer verstehen? Ist es vielleicht der Spruch eines Autofahrers?
Straßen, Wurzeln
Die Straßen und die Zivilisation. Straßen sind kommunizierenden Röhren ähnlich, über die unterschiedliche Pegel der verschiedensten Art ausgeglichen werden können. An einer Straße kann der Mensch Wurzeln schlagen, scheint es fast. Wurzeln transportieren Nährstoffe zu einem unbeweglichen, ortsfesten Lebewesen, einer Pflanze… . Wurzeln hat der Mensch also nicht wirklich, bestenfalls in übertragenem Sinne. Eher hat der moderne Mensch so etwas wie ein Dock, einen Stellplatz, neben seiner Wohnung, seinem Haus, eine Garage, gleich an der Straße beispielsweise.
Die Straße ist eine Grundfeste unserer Freiheit. Die Straße macht uns das Leben in jeder Form bequem, das scheint für unser Wohlbefinden eine Grundvoraussetzung. Sie macht uns, als Nutzer des Automobils, ohne Aufwand von körperlichen Kräften beweglich, bleibt festzustellen. Sie gibt uns darüber hinaus Orientierung und wir wissen aus Gesprächen und durch Berichte, ob und wie sicher wir uns auf ihr fühlen dürfen.
Straßen sind das Bett für die technische Infrastruktur unserer Haushalte, sie führen zu Häusern mit Hausnummern, sie verbinden Freizeit und Arbeit, Jung und Alt, sie verleihen Flügel, dem sonst nur Beine und Füße gewachsen sind.
Der geebnete Weg wurde zur Straße, die Straße wurde zur Wiege des Automobils. Die in diesem Fall nur wenig verschlungenen Pfade des zivilisierten Menschen machten das Automobil zu seinem Lieblingskind. Wo aber bleibt die Kultur? Wo die Gesellschaft? Wird das Kind langsam erwachsen oder sind die Eltern ungeschickterweise in ihrer Entwicklung stehen geblieben?
Die „Gesellschaft“, das begriffliche, anonymisierte „Überdach“ für die Gesamtheit einer menschlichen Gruppe mit ähnlichen Anschauungen, Interessen und Zielen und deren „Kultur“, die geistige, schöpferische und künstlerische Leistung der menschlichen Gemeinschaft, stellten die Straße und mit ihr das Automobil selten direkt und offen in den Brennpunkt des Interesses. Das Museum of Modern Art in New York hat im Jahr 1951 da den ersten entscheidenden Meilenstein gesetzt und für die Kunstszene den Schrittmacher gespielt. Der Beatle John Lenon ließ seinen Rolls Royce „Phantom“ im Jahr 1967 von einem Künstler mit Namen Steve Weaver im Stil des Plattencovers Sgt. Pepper bemalen, das war zu dieser Zeit ein epochemachendes Ereignis. HA Schult hat sehr viel später mit seinem kölnischen goldenen Flügelauto seine künstlerischen Intentionen weitergegeben und dafür nicht nur Lob kassiert. Der Deutsche Luigi Colani mit seinem italienisch klingenden Namen hat so viele Entwürfe zu stromlinienförmigen Fahrzeugen kreiert, die die Interessen der Wirtschaft und des Staates nicht trafen. Man strafte ihn mit Missachtung.
Das Automobil als Kunstobjekt ist so ein Ding. Jeder Hersteller versucht sich daran, möglichst viele Käufer zu fangen. Neben Marke und Technik ist auch das Äußere der Fahrzeuge ein zugkräftiges Werbemittel. Es bilden sich so gefeierte Design-Strömungen aus, die allerdings kaum miteinander konkurrieren. Mehr sind sie etwas wie ein Stempel ihrer Zeit, ein Abbild der technischen Fähigkeiten und der Sachzwänge der Automobilbauer. Kunstvolle Automobile sind teuer, ganz wie die Kunstwerke, die von anerkannten Künstlern geschaffen werden. Im Vergleich zu Kunstwerken besitzen Automobile jedoch eine weitaus größere, und wie es scheint auch einflussreichere Anhängerschaft. Aber vor allem: Automobile verschwinden nur selten im dunklen Kämmerchen, sondern sie werden auf der größten Bühne der Welt bewegt: den Straßen.
Das Werkzeug des kleinen Mannes
Mit dem Ausbau der Straßen und vor allem mit der Entwicklung des Autos, als Inbegriff eines hilfreichen, für jeden Menschen zur Verfügung stehenden Werkzeugs, wie ausgeführt: für manche Vertreter auch der eines Kunst-, eines Kult- und eines Kulturobjekts, hat der Mensch ein Medium gefunden, das ihm ein Leben lang Beweglichkeit vorgaukeln, ihn ein Leben lang fangen, befreien und glücklich machen kann. Den Jungbrunnen schlechthin.
Die moderne Hassliebe
Der Kaffee des Morgens, nach dem Erwachen,
dann, wenn das Auto aus der Garage rollt,
macht die Augen des Fahrers lachen,
nun erst, ist ihm seine Seele hold.
Die Sonne, weit im Osten scheint aus warmem Gold.
Sanft Gas gegeben, macht das Fahrzeug Sachen,
der Motor leise grollt.
Was will der Herrgott da noch machen?
Männlein, Weiblein sitzen zufrieden,
hinter ´ner Scheibe aus nicht allzu dickem Glas,
nebeneinander, in Stille staunend, sind sie hingetrieben,
leis‘ und stumm hoch jubelnd, dahin wo des Lebens Maß.
Die Straße, die vorm Haus beginnt,
führt aus engem Raster bis zum weiten Meer,
die Zeit bis dort, so schnell verrinnt,
die Beiden genießen sie wohl sehr.
Der Weg, das Ziel, so kommt es nun!
Uns bleibt nichts weiter mehr zu tun!
Nichts Schöneres, als das Meer zu riechen!!!
Nur der Unmut drängt uns, ohne Räder antriebslos dahin zukriechen.
Die Gegenpole
Allen Nutzern motorgetriebener Fahrzeuge ist es gemeinsam, dass sie die Kraft der Stille nicht erfahren können. Niemals gibt es den Moment, an dem das Ohr ins Nichts lauscht. Eine Atempause, in der man sich mit dem Wind eins fühlt und das Element „Luft“ uns als Teil unseres Selbst begleitet und uns die Seele als Teil eines größeren Ganzen zu bestaunen scheint. Das kommt beim Radeln vor, nicht oft, zugegeben, aber es erfreut den Radler immer dann, wenn er es fast vergessen hat.
Als Fußgänger oder Wanderer nimmt man dieses Gefühl wohl öfters wahr, aber auf dem flachen Land fehlt den Empfindungen dieser Menschen etwas an Leichtigkeit, an Leichtfüßigkeit: der Radler kann sich schnell und ohne Kraftanstrengung über verhältnismäßig große Entfernungen hinwegsetzten. Ein weiteres Plus: er kann einen kleinen Hausstand fast „schwerelos“ auf dem Rad mit sich führen.
Dem exzessiven Autofahrer hingegen ist das Sitzen häufig schon eine Last. Er trachtet bestenfalls danach, seine Stimmung fortwährend zu steigern, ohne eine hastige Bewegung und ohne einen überflüssigen Atemzug die Orte zu wechseln und Herr über seine überschaubaren Sinne zu bleiben. Abgeschottet und unberührbar, anonym in einer metallenen, verglasten Kapsel sitzend, flitzt er durch die Stadt und übers Land, fast wie eine peroral eingenommene Kapsel im Verdauungstrakt. Wenn ihm das Fahrgefühl nicht mehr passt, dann öffnet er überlegen das Dach seines Cabriolets. Analog dazu zersetzt die Magensäure die Wand der Kapsel und setzt den Wirkstoff frei… . Der Fahrer lächelt derweil seiner Partnerin zu, schaltet sein Automatikgetriebe auf „D“ und gibt vorsichtig Gas, lauscht befriedigt auf das tiefe Blubbern seiner Hubraum- und PS-starken Maschine, die nahezu dem neuesten Stand der Technik entspricht, die ihm für alles das Ersatz ist, dass er im Leben verpasst hat… und genießt den Anblick der Natur, so wie sie wirklich ist. Das kostbare Wurzelholz sucht und findet er im Armaturenbrett.
An der nächsten Tankstelle kauft er Benzin oder Diesel. Dann geht es weiter, zu einem noch grandioseren Höhepunkt auf seiner Reise durch unberührtes Land.
Die Ruhe
Spaß beiseite: In tieferem Sinne gibt es für den natürlich orientierten Menschen eben keine Entspannung, keine Ruhe, wenn er ein Fahrzeug mit einem motorischen Antrieb über eine von Menschenhand geschaffene Straße, ein Werk des Tiefbaus, lenkt.
Die These
Die These, der Weg sei das Ziel, ein Zitat von Konfuzius (ein chinesischer Philosoph, der von 551 bis 479 v. Christus lebte) wird häufig in den Raum gestellt. Dahinter steht der Wunsch des Menschen, nicht verblendet von einem einzigen Ziel durch die Welt zu hetzen und zu hasten, sondern seine menschliche Wahrnehmung und seine Empfindung auch und vor allem auf das Geschehen im Raum des Alltags vor dem Erreichen seines angestrebten Zieles auszurichten. Fortwährende Aufmerksamkeit und die Bereitschaft für menschliche Interaktionen soll damit eingefordert werden.
Wörtlich genommen gilt diese These für den Naturliebhaber auf der gewöhnlichen Straße nicht. Straßen sind in den allermeisten Fällen nicht für uns Freizeitmenschen gemacht. Sie sind für motorisierte Verkehrsmittel gebaut, oft für den Transport von Gütern, meine ich.
Als Lieblings-Aufenthaltsort für uns Menschen, als Stätte an der wir unser Leben verbringen wollen, taugen die „Adern“ aus Asphalt in den allermeisten Fällen nicht.
Dem Radler, dem Kind der Kultur, bleiben als Oasen der Entspannung die immer besser werdenden landwirtschaftlichen Straßen, die Wald- und Radwege, deren es in unseren Kulturkreisen ja so viele gibt...
Was war das noch mit dem Radeln?
Zurück zum Anfang der schriftlichen Ausführungen: Was schätze ich nun so sehr am Radfahren?
Radeln hat etwas mit balancieren zu tun. Jeder, der Radfahren erlernt hat, weiß dass die Bewegung auf zwei Rädern etwas ganz Großes ist. Man befindet sich im Gleichgewicht. Nur zu schnell gerät das in Vergessenheit. Radeln hat etwas mit Bewegung an der frischen Luft zu tun. Es fordert die Sinne, bietet nahezu unverfälschten Genuss der Natur, wenn man in der Natur unterwegs ist. Der Radler hat die Freiheit überall anzuhalten, er kann aber auch jederzeit in den Sattel steigen und weiterfahren. Er ist in gesteckten Grenzen frei in der Wahl seiner Reisegeschwindigkeit.
Der sporttreibende Cyclist kann sich mit seinem Körper in einen angenehmen Rauschzustand hineinversetzten: Die Endorphine, körpereigene Peptide mit morphinähnlicher Wirkung, werden bei positiven Ereignissen freigesetzt. Sie betäuben Schmerzen und machen glücklich. Mag man den Terminus des technokratisch in unserem Kulturkreis herangewachsenen, psychologisch geschulten Mediziners teilen, dann darf man behaupten, dass der Radler nach einer Weile des unbeschwerten Radelns in einen Zustand gelangt, der mit „Flow“ bezeichnet wird. Er empfindet Glück.
Ob dies nun von der Bewegung, von seinem Gewissen, von seiner guten Laune, von der bezaubernden Natur, der über die Haut streichenden Luft oder den typischen Gerüchen der Region und der Jahreszeit herrühren mag.
Nüchtern betrachtet
Aber sehen wir es weiter nüchtern. Der tourende Fahrradfahrer sucht sich seinen Weg, zumeist vor seiner Radreise, genau aus. Er lernt neue Landschaften kennen, oder sucht solche auf, die er für sich schon unter „Schön“ einsortiert hat. Er fordert seinen Körper, seine Muskeln, sein Skelett, seine Nerven, seine Lungen, sein Herz-Kreislaufsystem. Er fordert und fördert sich selbst und entwickelt ein ganz besonderes Selbstbewusstsein, er ist autonom. Er radelt aus freiem Willem heraus.
Der Radler entdeckt das Kunstwerk Straße, die Natur, die Wege, die Pfade aus einer rechten bodenständigen Perspektive. Er sucht Orte der Kultur in den Städten auf, er radelt übers Land, durch Alleen, findet Brücken über Flüsse und Wege neben verträumten Bachläufen, er erradelt Höhenrücken in Berglandschaften, wobei er sich den Berg mit Muskelkraft erkämpft und die Fahrt ins Tal aus vollen Zügen genießt, wohlwissend, dass die nächste Anhöhe schon wieder auf ihn wartet. Alles in Allem bewegt er sich schleichend langsam vorwärts, so hat er mehr davon und niemand neidet ihm etwas.
Der Radler kann es sich zudem noch leisten, genau da anzuhalten, wo ihm der Sinn danach steht.
Er nimmt sich oft selbst auf die Schippe und sieht mal belustigt, mal zunehmend ernst werdend zu, wo es lang geht.
Das wird man zugeben: Immer ist der Radler der Natur ein Stück näher als sein motorisiertes Alter-Ego. Dem muss der Cyclist dabei immer hinterhersehen: Fahrräder sind ja in aller Regel nicht „publikumswirksame“, sondern eher „segensreiche“ Statussymbole.
Kommunikation fällt schwer
Mitteilen kann sich der erwachsene Radler über seine Erfahrungen nur schwerlich, das Vehikel Sprache tut sich in unseren Zeiten schwer, bloße Worte wirken blass und versagen in unserer Videowelt nahezu ihren Dienst.
Ach ja. Als Youtuber kann er sich präsentieren. Oder er schweigt, genießt seine Radabenteuer für sich, beschränkt sich auf das Ausstrahlen von Ruhe. Dieses Recht kann ihm niemand so einfach nehmen.
Und: Zu guter Letzt, am Ende seiner Tour, setzt er sich in sein Auto, fährt über eine tolle, arschglatte Straße nach Hause und parkt seine Fahrzeuge in Garage und Keller... .
© Auris cAeli
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