Die Vogelpredigt

Ein Gedicht von Hans Hartmut Dr. Karg
Die Vogelpredigt

©Hans Hartmut Karg
2017

Sie ist so schön und jung an Jahren,
Als Pfarrerin gründlich und offen,
Muss heut' Beurteilung erfahren
Und darf auf Installation nun hoffen.

Zehn Stunden hat sie fast gebraucht,
Bis ihr zusagt ihr Predigttext.
Verworfen ward manches, verraucht,
Was ihr nicht in den Glauben wächst.

Verwandte, Freunde reisen an,
Die Dorfkirche ist leidlich voll.
Der Kantor stimmt die Orgel an,
Der Chor, er intoniert ganz toll.

Doch wird den Hörern bald gewahr,
Dass da im hohen Kirchenschiffe
Ein Vogel zwitschernd, fliegend gar
Umfliegt die Säulen, Schnitzeriffe.

Doch sie bezieht geistgegenwärtig
Den lieben, kleinen Vogel ein
In ihre Predigt, die jetzt fertig
Spontan den Vogel bringt herein.

Denn wie der Vogel sitzt und fliegt,
So ändert sich der Predigtlauf.
Wie sie den Bibeltext hinbiegt,
So will das Leben seinen Lauf.

Franz von Assisi hätte Freude
An dieser Predigt wohl gehabt.
Es schmunzeln auch die vielen Leute,
Wo die Natur sich glaubenslabt.

Und als der Vogel sich hinsetzt,
Um ihrem Predigttext zu lauschen,
Ist sie es, die ihn nicht weghetzt,
Spricht leise, bis die Flügel rauschen.

Als unsere Pfarrerin geendet,
Die Lieder langsam klingen aus,
Hat sich der Vogel umgewendet –
Und fliegt zum Dachfenster hinaus!

Da endlich hält es die Gemeinde
Nicht länger – und sie applaudiert.
Hier haben selbst die Vogelfeinde
Den Sinn der Predigt wohl verspürt.

Und Lob kommt von der Urteilsmacht,
Die das Spontane honoriert,
Weil Hören, Beten und Andacht
Mit Vogelwacht zum Glauben führt.

*

Informationen zum Gedicht: Die Vogelpredigt

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31.05.2017
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