Die Schreibende
Ein Gedicht von
Ralph Bruse
Sie sitzt am Tisch, in ihrer Küche -
ein Blatt Papier in beiden Händen.
Vom Hof her: Stimmen, Grillgerüche
und Lachen hallt von weißen Wänden.
Sie schließt das Fenster. Setzt sich wieder;
starrt auf das helle, leere Blatt.
> Wo sind sie hin, die alten Lieder,
die nur so fielen?, < fragt sie matt.
Sie greift zum Stift. Das erste Wort
ist....Heute. Nur das eine: Heute.
Sie setzt neu an, doch ist es fort,
das, worauf sie sich immer freute.
Windstill ist ihr Gedankenfluss
und nichts treibt ihn weiter voran.
Was ihr gelingen will - auch muß,
wird heut´ nicht - vielleicht irgendwann.
Da draußen, am Balkon, in Kästen,
pfeifen zwei Amseln ihr was vor.
Sie lächelt für sich bei den Gästen:
immerhin Balsam für das Ohr.
...Steht auf. Öffnet die schmale Tür
und setzt sich in das Abendlicht.
Im Schoß das leere Blatt Papier,
verliert sie auch ihr Lächeln nicht.
Vor der Nacht trinkt sie ein Glas
vom bittersüßen, schweren Wein.
Das Buch, in dem sie etwas las,
schläferte sie beinahe ein.
Doch dann schreibt sie von ´Heute´ weiter.
Kommt erst am nächsten Morgen an.
Düsteres schreibt sie - traurig, heiter -
solange, bis sie nicht mehr kann.
Sie legt sich nieder. Schläft und träumt
davon, ihr wär jemand ganz nah.
Vielleicht hat sie ihn nur versäumt.
Der Brief an ihn ist ja noch da.
*
Viel später las sie vom Papier:
Heute schwieg ich, tief in dir.
(c) Ralph Bruse
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