Die Freude

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
Meine Nachbarin mit kranken Hufen
hatte neulich mich gerufen.
Sie hat mich händeringend gebeten,
sie doch einmal zu vertreten.
Ihre Freundin würde heute begraben
und sollte ihren Abschiedsstrauß haben.
Ich würde doch selber sehen,
sie könne nicht gehen und stehen.

Und so kam es dass ich eilte,
zum Binden in der Gärtnerei verweilte.
Es wurde die schwarze Schleife gebunden
und ich habe etwas preiswertes gefunden.
Schöne zarte Rosen, rosarot
gab es dort als Blumensonderangebot.
Davon nahm ich gleich zwei Gebinde,
äußerst billig, wie ich finde.

Ich kam zum Friedhof, nicht zu spät,
übergab den Strauß der Pietät.
Dann saß ich zwischen fremden Leuten,
hörte die Tote ihnen etwas bedeuten.
Später dann am Grabesrand
warf ich symbolisch drei drei Hände Sand.
Symbolisch heißt das alles werde
zu Asche, Staub und Erde.

Später drückte ich still und galant
den Hinterbliebenen die Hand.
In jeder Hand einen Rosenstrauß
eilte ich so stolz nach haus.
Den ersten bekam die Ehegattin,
die nahm ihn erstaunt rasch hin.
Sie liess sich zwar dankend küssen,
murmelte aber etwas von schlechtem Gewissen.

Die kranke Nachbarin jedoch
emsig an den Rosen roch.
Immer wieder roch die Nase,
bevor sie suchte eine Vase.
Dann sah sie in die Augen mir:
"Sie sind ein echter Kavalier!"
Und, ich werde es nie bereuen,
ich sah sich die alte Dame freuen.

Sie freute sich wie ich als Knabe,
wenn ich Taschengeld erhalten habe.

05.09.2014 Wolf-Rüdiger Guthmann

Informationen zum Gedicht: Die Freude

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05.09.2014
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