Der Schneider

Ein Gedicht von Jürgen Wagner
So sprach der Rabbi vor dem 'Tag der Versöhnung':
nun kommt ein Tag, wo man Frieden hat
Wie man ihn feiert, das kann ich euch sagen:
geht zu dem Schneider am Rande der Stadt

Die Leute gingen und schauten durch's Fenster,
dort war man festlich versammelt am Tisch
Die Lichter brannten, man betete stille,
das Mahl war bereitet, die Kleider ganz frisch

Da griff der Schneider hinein in den Schrank
und holte heraus ein kleineres Buch,
las vor all die Sünden des letzten Jahres:
sein Unmut, sein Zorn, ein plötzlicher Fluch -

Noch einmal griff er in diesen hinein
und holte ein dickeres Buch hervor
Hier war nun getreulich alles verzeichnet,
was Gott der Herr i h m getan hat zuvor:

so hart von früh bis spät geschuftet,
zerstochen die Finger und kärglich das Brot
Wie gequält seine Seele, wie kränklich sein Leib,
die Mäuse im Keller und all ihre Not! -

Mein Gott, vergeben sind Dir Deine Sünden
Oh Herr der Welt, vergib mir auch!
So können wir in Frieden leben
und ehrlich feiern diesen Brauch


Nach einer chassidischen Geschichte - zum Vorabend des großen Versöhnungstages (Jom Kippur, 3. Mose 16), des höchsten jüdischen Feiertages, der als Tag des Fastens, der Reue und der Umkehr bis heute selbst von nicht-religiösen Juden begangen wird.

Informationen zum Gedicht: Der Schneider

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08.05.2015
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Jürgen Wagner) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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