Der Grashalm
Ein Gedicht von
Erika Tillmann
Es war einmal ein Grashalm, der hasste den Wind
Hasste es sich zu verbiegen - mal hierhin, mal dorthin
ganz, wie's der Wind wollte. Er wünschte sich aus Zinn!
Aus Eisen! Unbeugsam - und war im Herzen blind
Mit seiner ganzen Willenskraft wehrte er sich
und es gelang ihm immer besser mit der Zeit
dem Wind zu trotzen. Er rief: "Nun bin ich gefeit!"
Er war stolz, wenn er sich mit den and'ren verglich
Sein Halm immer dicker und fester wurd er stark
Seine ganze Kraft brauchend, sein Herz verschlossen,
kämpfte er gegen den Wind, hielt stand, Tag um Tag
Um ihn herum wogte das Meer aus Halmen
Das Kichern im Rauschen verborgen, traf man sich
rings'rum und sprach auch von Verwandten, den Palmen
Wenn and're sich innerlich vor Lachen bogen
weil winzig kleine Käferfüße sie kitzelten
und sie über Unterschiede witzelten
spürte er nichts und hielt's für gelogen
Seine Haut war nun viel zu fest für's Spüren
Freude? Zum Freuen seine Haltung viel zu steif
"Ich brauch niemanden! Ich auf die ander'n pfeif!"
Beschäftigt nur mit Kampf konnt ihn nichts mehr berühr'n
Seine Nachbarn beäugten ihn öfter sorgenvoll
Sie riefen, aber er hörte ihre Stimmen nicht
"Wind, hilf ihm! Wir wissen nicht, was wir tun soll'n"
"Zu spät, eure Zeit ist um. Der Mäher nimmt schon Maß.
Der Herbst kommt, es ist soweit." Entsetzt schauen sie
zum stolzen Grashalm hin. "Wie schlimm! Er hatte gar kein'n Spaß!"
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