Der erste Kuss
Ich denke noch mit Hochgenuss
an meinen allerersten Kuss.
Nicht den der Mutter, Omas und Tanten,
selten auch der restlichen Verwandten,
die mit lippenstiftbeschmiertem Mund
mich besabberten ganz ohne Grund.
Ich meine den Lippendruck des Mädels,
das durch gegenhalten meines Schädels
meinen Mund nur zart berührte,
was zu schnellem Herzschlag führte.
Der Blutdruck stieg mehr als erlaubt,
so habe ich jedenfalls geglaubt.
Der ganze Körper hat gebebt,
die Haut durch Angstschweiß leicht geklebt.
Wie Strom hat er elektrisiert,
die Hände tastend dirigiert.
Die Finger zitterten vor Lust,
da griff ich an die Kegelbrust.
Ruft mich einst das Jüngste Gericht,
gebe ich dazu einen Bericht.
Doch heute rede ich nur vom Kuss,
vom Ersten, der irgendwann sein muss.
Diesen ersten Kuss im Leben
hab ich schnell zurückgegeben.
Ich sah es doch an ihrem Blick,
sie wollte ihren Kuss zurück.
Ich hab die Lippen abgeleckt,
ob ihr Speichel auch geschmeckt,
hielt ihren Kopf dicht bei den Ohren
und habe die eigene Art geboren.
Meine Augen blickten ganz lieb,
sie nannte mich später Herzensdieb.
Dann machte ich den eignen Mund
zu dem Zwecke kreisend rund.
holte tief Luft und in einem Stück
gab langsam ich den Kuss zurück.
Die Lippen klebten wunderbar,
nur der Atem wurde etwas rar.
Ich habe die Augen fest geschlossen
Und diese Bindung fest genossen.
Die fremde Zunge kam gewischt
und hat sich suchend eingemischt.
Ich holte Luft in meine Lunge
und kreierte ihr dann meine Zunge.
Einmal spitz und einmal breit
schob ich sie in den Hals ihr weit.
Die Nasen aneinander rieben,
Gerüche in die Höhe trieben.
Keiner wollte der Erste sein,
der zum andern sagt: „Lass sein!“
So ward der Kuss, der kaum erhoben,
einfach hin und her geschoben.
So geht das nun schon 50 Jahr‘,
denn seitdem sind wir ein Paar.
14.04.2015 © Wolf-Rüdiger Guthmann
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