Das Bordell
Ein Gedicht von
Klaus Lutz
In der Wohnung neben mir ist ein Bordell!
Morgens sitze ich immer auf der Veranda.
Trinke einen Tee. So für 1-2 Stunden. In
Ruhe und Frieden. Entspannt und gelassen.
Und beobachte dabei wer klingelt. Wer da
ein und ausgeht. Wie sich die Menschen
bewegen. Und was sie wohl fühlen. Ohne
dabei, mit Jemand, in ein Gespräch zu
kommen. Also rate ich immer, wer oder was
sie sein könnten. Und gebe ihnen einen
Namen.
Montags um 11:00 Uhr klingelt immer
Georg. Gut angezogen. Bestes aussehen.
Irgendwie sympathisch. Und ich rätsele
dann so: "Warum besucht er ein Bordell?
Ist es einfach das Leben? Oder weiß er
nicht weiter? Mit seinem Beruf. Mit seiner
Ehe. Mit allem was er will. Und sucht er
nur Ablenkung. Vom Geld das nichts
bedeutet. Von Freunden, die immer das
Gleiche reden. Von Tagen, die sich nur
noch wiederholen.
Dienstags um 11:00 Uhr klingelt immer
Peter. Mit abgetragenen Jeans. Einem
T-shirt. Einem Hut! Und mit Turnschuhen.
Und irgendwie lustig. Und ich rätsele dann
so: "Warum besucht er ein Bordell?" Ist
er einfach nur einsam? Oder scheu. Und
sucht ein Gespräch. Um wieder klar zu
denken! Was das Leben ist? Was der
Mensch ist? Was er will? Was einen
Sinn hat? Um dann wieder der Sieger
zu sein.
Mittwochs um 11:00 klingelt immer
Manfred. Graue Haare. Schwarzer Anzug.
Eine Krawatte. Und helle Schuhe. Gute
Ausstrahlung. Irgendwie Intelligent. Und
ich rätsele dann so: "Warum besucht er
ein Bordell!" Ist er geschieden? Ohne
Kinder. Irgendwie Krank? Und Rentner.
Mit Fernseher. Und CD-Player. Und
einem Wellensittich! Und so irgendwie
vergesssen worden: „Von Freunden! Von
Nachbarn! Und Familie!“
Donnerstag klingelt immer Charlie. Gute
Schwingungen. Aber ein Doppelkinn.
Und dicker Bauch. Und ziemlich Klein.
Mit einem Lächeln. Irgendwie etwas
besonderes. Und ich rätsele dann so:
"Warum besucht er ein Bordell? Wegen
seinem Aussehen? Wegen seinem
Unscheinbaren? Wegen dem was für
Ihn zählt: „Das wahre Ich! Das echte
Denken! Das gute Sehen!“ Und er damit
als Verlierer gilt. Weil das kein Mensch
mehr kennt.
Freitags klingelt immer Freddy. Überall
Muskeln. Die Beine voller Muskeln. Der
Bauch voller Muskeln. Die Arme voller
Muskeln. Ein Bodybuilder mit Erfolg.
Und ich rätsele dann so: "Warum besucht
er ein Bordell?" Wegen den vielen Muskeln?
Und weil jeder nur die Muskeln sieht. Und
nur mit Ihm über Muskeln reden will. Und
die Frauen ausser Muskeln nichts sehen.
Und sich nur sagen: "Viel Wasser aber
kein Land!"
Samstags klingelt immer Bernd. So um
die zwanzig Jahre alt. Mit Sommersprossen .
Eine dicke Brille. Ein Buch unter dem Arm.
Irgendwie ein Intellektueller. Und ich rätsele
dann so: "Warum besucht er ein Bordell!"
Will er den Frauen das Leben erklären? Die
Macht der Worte! Die Macht der Ideen! Die
Macht des Denkens! Durchlebt er so seine
Sturm und Drangzeit. Und beredet dann
das alles, mit seinem Psychologen.
Sonntags klingelt immer Hermann. Ein
Soldat. Immer in Uniform. Mit Orden. Und
einigen Streifen auf den Schultern. Und ich
rätsele dann so: "Warum besucht er ein
Bordell?“ Denkt er dabei an das andere
Leben? Ohne Uniform. Ohne Waffen. Ohne
Krieg. Sieht er dann diese Frau vor sich:
„Die Brüste! Die Beine! Die Spielwiese!
Das Lächeln!“ Mit all den Erinnerungen
was das Leben ist. Und die Welt. Und der
Mensch. Und die Liebe.
Nach 1-2 Stunden fahre ich dann wieder
in die Wohnung. Stelle mich, mit dem
Rollstuhl, in eine Ecke. Und denke so über
die Wahrheit des Menschen nach. Ohne
ein Ergebnis. Dann schalte ich den
Computer ein. Sehe mir Nachrichten an. Oder
einen Spielfilm. Oder Dokumentationen.
Oder Sexkram. Und denke mir: "Morgen
werde ich klingeln! Eine Fee wird öffnen!
Und ich werde die Wahrheit entdecken! Mit
einer Frau, so wie Sie ist!"
(C)Klaus Lutz
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