Brief von Charlotte von Löwenfels an Herrn Doktor Ludwig Anzengruber
Wien, 16.05.1910
Lieber Ludwig,
ich glaub‘, dass mich das Glück verlässt,
mein Dienstmädchen hat mich erpresst!
Oh, diese Dirne meines Gatten!
Was ging da alles bloß vonstatten!
Jetzt soll ich ihr zwei Kleider geben
und den Rubinring dazu legen!
10.000 Schilling will sie auch,
oh, welchen Hass hab‘ ich im Bauch!
Ich dachte immer, Hans ist treu,
jetzt trennt vom Weizen sich die Spreu!
Das Fremdgeh’n war doch mein Revier,
mit einem Schatz und zwar mit Dir!
Ach Ludwig, ich muss Dich heut seh’n,
mit Dir im Liebesrausch vergeh’n!
Und Hans? Dem wasch` ich noch den Kopf!
Der widerliche alte Tropf!
Natürlich lass ich mich nie scheiden,
denn Armut gilt es zu vermeiden…
Und Deine Praxis läuft ja schlecht,
das wär‘ mir ganz und gar nicht recht…
Doch trotzdem bist nur DU der Mann,
mit dem ich richtig „Frau sein kann“!
Ich wart‘ voll Ungeduld auf Dich,
drum komm‘ bald und enttäusch‘ mich nicht!
Charlotte
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