Atemlos zur Künstlichen Intelligenz

Ein Gedicht von Armin Lammer
Atemlos zur Künstlichen Intelligenz
Mensch und Computer

Der Mensch ist schwach und faul und dumm -
so sieht er sich nach Hilfen um;
und wo er selbst nichts leisten kann,
wendet er die Technik an.

Um sich selber nicht zu plagen,
erfand er Hebel, Rad und Wagen,
den Propeller, die Turbinen,
alle Arten von Maschinen.

Um sich gut zu unterhalten,
lässt er sich den Tag gestalten:
Er sieht gern fern, hört Radio,
hat Telefon und Video.

Er jettet um die halbe Welt,
er kann sich leisten, was gefällt ---
und ist doch ohne Ziel und Richtung,
ohne Werte und Gewichtung.

Er ist gehetzt, zumeist in Eile
und dennoch voll der Langeweile,

vergeblich suchend, was die Welt
ordnet und zusammenhält,
das helfen könnte, aller Leben
Inhalt und Gestalt zu geben.

Zum Glück, so scheint es, ist sein guter
Freund und Helfer der Computer.


Den Arabern, den Chinesen,
ist der Hilfe schon gewesen;
Soroban und Suan Pan
trifft man dort noch heute an.

Krösus, Titus, Tacitus,
Römer, Sklaven und Germanen
rechneten mit Abakus,
wenn sie in die Schule kamen.

Damals war der Rechner nütze
als Geistes- und Gedächtnisstütze ---
doch heute ist Er digital
und ohne Grenzen – fast genial!

Atemraubend und rasant
wird Er entwickelt, wie bekannt,
droht Er, uns für alle Zeiten
unerreichbar zu entgleiten.

Er sät und erntet, forscht und schafft
auf jedem Feld der Wissenschaft.

Der Mensch muss Ihm weichen --
in allen Bereichen.

In Wirtschaft und Sport,
in Küche und Keller
sind Rechner vor Ort –
präziser und schneller
und besser zumeist
als menschlicher Geist.

Im Auto, im All,
im Betrieb und im Haus:
Wir kommen – leider und überall
nicht mehr alleine
auf eigene Beine
und ohne Ihn aus.

In Frieden und Krieg:
Nur Er bringt den Sieg!

Er ordnet, druckt und tabelliert,
bereitet auf und präsentiert;
Er berät uns schnell und kritisch,
unbestechlich, analytisch.

Er schreibt, korrigiert,
überprüft, kalkuliert,
bereichert, erhält,
Er speichert, behält
Daten und Fakten

aus Bergen von Akten.
Unser Kopf ist lange schon
kaum mehr ernsthaft in Funktion:
Wer zwei und zwei zusammenzählt,
hat Not, wenn ihm der Rechner fehlt.

Der kann schreiben, malen, lesen -
fast schon wie ein menschlich Wesen.

Seit Jahren ist der Rechner schon
weit besser als ein Lexikon,
Er dient schon, von zu Hause aus,
als weltweit größtes Warenhaus.

Er kann orten, sehen, fühlen,
Er kann, im Team schon, Fußball spielen.
Er kann den Hof, die Straße fegen,
Schuhe putzen, Kranke pflegen,
Probleme oder Rätsel lösen,
Gedanken steuern, sie gar lesen.

Er macht Musik, Er hört und spricht –
was, zum Teufel kann Er nicht?

Als Robotic kann Er stehen,
und, wenn Er will, durch Wände gehen;
Er verbindet wie im Spiel
Bärenkraft mit Feingefühl.

Er kurt nicht, streikt nicht, wird nicht krank –
und -noch- gehorcht Er, Gott sei Dank!

Noch wird der Rechner ungeniert,
gar gegen Sitte und Gebot,
so, wie uns gutdünkt, programmiert;
noch ist Er unser Fachidiot.

Doch auch wir sind die Idioten,
dieweil wir alle Seine Gaben
und alles, was Er uns geboten,
gedankenlos bejubelt haben.


Er ist uns allen unentbehrlich,
von der Wiege bis zum Grab –
segensreich – und brandgefährlich,
denn wir stürzen mit Ihm ab.

Er erschließt uns neue Welten
und die alte wieder neu.
Neue Götter, neue Teufel,
neues Wissen, neue Zweifel ---
Werte, die bis gestern zählten,
sind vergessen und vorbei.

Der Rechner wird uns überfahren,
die wir immer mehr verflachen,
die wir mal die Affen waren --
und uns schon wieder dazu machen.

Er wird verflucht, Er wird gepriesen,
Er ist Verführung wie Gebot.
Wir sind auf Ihn schon angewiesen
wie auf Wasser, Salz und Brot.

Kein Schiff fährt mehr den Rhein hinunter,
alle Räder stehen still,
kein Flugzeug kommt mehr heil herunter,
wenn der Rechner dies nicht will.

Tod und Trauer, Pest und Plagen,
die Geburtenrate steigt,
Panik in den Chefetagen ---
wenn die Elektronik streikt.

Wer führt das Schiff, wer steht am Ruder?
Was ist real, was virtuell?
Der Mensch bleibt menschlich, der Computer
nimmt Macht und Einfluss - rasend schnell.

Wir, der Schöpfung Krone, waren
erst nach zwei Millionen Jahren
die Beherrscher der Natur.
Der Rechner brauchte dreißig nur,
sich so stark, so klug zu fühlen,
um Kasparow matt zu spielen.

Wir können Seiner nicht entraten,
denn was der Rechner leisten kann,
macht uns zum Sklaven Seiner Daten,
das zieht uns alle in den Bann.

Dem Rechner ist es einerlei,
ob man Ihn meidet oder liebt.
Keiner kommt an Ihm vorbei,
es ist ein Muss, dass es Ihn gibt.

Auch um jene sicherlich,
die mit Ihm auf Kriegsfuß stehen –
wäre es sehr schnell geschehen,
ließe Er sie kalt im Stich.

Wer Ihn liebt, wer Ihn hasst,
wird angepasst,
wir verstehen nicht recht,
sind Diener und Knecht,
sind in Angst und in Not.
Sein Anspruch und sein Angebot --
wir staunen bloß --
sind grenzenlos.

Das Internet ist vielen schon
reale Welt wie Religion,
was wir bald und tief bedauern,
ob all der Fallen, die da lauern.

Wen wir lieben, wen wir hassen,
was wir denken, was wir sagen,
Defizite, Qualitäten,
Eigenarten, Schwulitäten,
wird man als Datei erfassen –
von jedem Hacker abzufragen.

In Rom konferiert,
in Hongkong diktiert,
in Kalkutta geschrieben –
wir schaufeln und schieben
rund um die Welt
Daten und Geld
nach Lust und Belieben.


Die Vernetzung ist global,
die Datenschwemme ist total.

Was wir brauchen, was zählt,
was immer mehr fehlt,
das Gespräch, die Begegnung,
menschliche Regung,
ein Lächeln, ein Gruß,
ein Handschlag, ein Kuss,

Gerede und Tratsch,
Gerüchte und Klatsch,
eine Liebschaft, ein Flirt --
haben Seltenheitswert.

Robotic spürt,
kontrolliert,
macht gläsern klar
was ist und was war;
was man kennt
und was man kann,
mit wem man pennt
und wo und wann.

Was man lässt und was man macht,
wird strikt überwacht.

Private, selbst intimste Sphären:
Sie alle werden Ihm gehören,
die Versuche, sich zu schützen,
werden -bald schon- nicht mehr nützen.

Wer mit dem Rechner online geht,
sieht nicht nur in das Netz hinein.
Er wird erkannt und ausgespäht –
wie gefährlich kann das sein?

Wen Busen oder Bares lockt,
wer anklickt ohne nachzudenken,
wird leicht geneppt und abgezockt,
der kann sein Geld auch gleich verschenken.


Die Geister, die der Rechner rief,
wird die Menschheit nicht mehr los;
Er hat uns alle fest im Griff,
Sein Einfluss ist schon grenzenlos.

Durch Ihn sind wir zu Hatz und Hetze,
zu höchster Präzision verdammt.

Er besetzt die Arbeitsplätze,
der Mensch die Bank im Arbeitsamt.

Als Seelentrost und Trouble-Shooter,
als Archiv und Informant,
als Leitbild und als rechte Hand,
ist der Rechner längst entdeckt
und Vielen dient schon der Computer
auch als Lust- und Sexobjekt.

Frauen aller Altersklassen,
mager, rundlich, füllig, fett,
aller Laster, aller Rassen,
die alles mit sich machen lassen,
finden sich im Internet.

Und auch noch völlig unberührte,
naiv und schüchtern, keusch und fromm,
sittsam, folgsam, unverdorben,
die keiner noch bislang verführte -
im Leben sind sie ausgestorben -
die hat der Freak auf CD-Rom.

So sucht er sich die Beste aus,
die er cool und ungeniert,
durch einen Doppelklick der Maus
schmerz- und lustlos defloriert.

Das Netz kann auch für alte Knaben,
-mit sich und mit der Maus allein-
die sich nicht nur an Rotwein laben
ein rechter Quell der Freude sein.

So mancher Jugendliche hält
den Cyberspace für seine Welt,
i
n die er flieht, in der er lebt,
in der er nach Erfolgen strebt.

So bleiben ihm nicht Raum noch Zeit
noch Sinn für Wert und Wirklichkeit.

Und mehr noch kann der Rechner geben:
Er schenkt uns jetzt ein zweites Leben
in einer Schein- und Datenwelt,
die vielen als die erste zählt,

ein Metaversum, sozusagen,
in dem wir all das tun und wagen,
was Spaß macht, was gefällt, behagt,
was uns das Leben hier versagt.

In dem wir uns ganz neu benennen
und via Maske definieren,
als Avatare fliegen können
und den Sinn dafür verlieren,
was Fiktion ist und was Sein,
was wirklich ist und was nur Schein.

Doch hoch und schmerzlich ist der Preis
für Höhenflüge ohne Fleiß:
Wer on-line nur sein Glück versucht,
den zieht der Rechner in die Sucht.


Auf vielen Feldern unsres Lebens,
mühten wir uns meist vergebens,
hülfe uns nicht der Computer.
Er soll uns dienen, und das tut Er,

so wir noch das Programm gestalten
und Ihn fest im Griff behalten.
Noch gehorcht Er blindlings -doch-
wie viele Jahre geht das noch???

Der Rechner kann die Datenmassen,
die auf Datenautobahnen rasen,
senden, speichern und erfassen.
Wir hingegen müssen passen.

Künstlich zwar Sein Intellekt,
doch unbegrenzt erweiterbar.
Der Mensch, hingegen, sieht erschreckt,
er bleibt dort stehen, wo er steckt,
beschränkt, wie er es immer war.


Mit einem Quäntchen Phantasie,
die Kreativität gebiert,
mit einem Schuss von Alchimie
wird der Rechner zum Genie,
das dann den Menschen dominiert.

Dann wird Er uns als Herr und Meister
Weisung und Befehle geben,
und dann werden Seine Geister
auch nach Seinem Willen leben.

Dann haben wir das Kuckucksei
-ausgebrütet schon- im Nest.
Vorbei die tumbe Rechnerei;
der Geist ist aus der Flasche frei –
cogitat et ergo est.

Rein sachlich werden Positronen
des Superhirnes uns belegen:
Sie sind Synapsen und Axionen,
dem Groß- dem Kleinhirn, den Neuronen
in jeder Hinsicht überlegen.

Bald wird man Chips in Hirne pflanzen,
ohne Skrupel und Bedenken,
sowie auch Chips mit Hirnsubstanzen
der Menschheit als Erfindung „schenken“.

Man wird, dem Klerus zum Entsetzen,
den ersten Zuchterfolg verbuchen
man wird nach Mendelschen Gesetzen
zwischen Mensch und Rechner suchen.

Sobald Er lernt, erkennt, entdeckt,
baut Er sich auf und selbst zusammen;
dann ist Er -anders als der Mensch- perfekt,

zeigt, was in Ihm, in uns nicht steckt
und schämt sich, von uns abzustammen.


Wir verlieren schnell an Boden,
wir sehen uns`re Felle treiben,
es wird uns immer mehr verboten,

wir sind auf einmal die Heloten --
und werden es für immer bleiben.


Die Fabel von der Farm der Tiere
wird für die Zukunft neu geschrieben.
Dem Computer, heißt es dann, gebühre
der Platz, den nun der Mensch verliere,
der sei das dumme Schwein geblieben.

Es ist, gottlob, noch nicht so weit!
Und doch hat diese Utopie
den Anspruch auf die Wirklichkeit.
Eine Frage nur der Zeit,
der Technik, nicht der Phantasie.

Eine Frage nur der Zeit,
kommunal wie bundesweit,
dann drängt Er auch ins Parlament –
mit Sitz und Stimme und Talent.

Eine Frage nur der Zeit,
dann lenkt und kämpft Robotic schon,
einvernehmlich und im Streit,
an der Spitze der Fraktion.

Eine Frage nur der Zeit,
dann zieht er, zum Erfolg verdammt,
so kalt, so herzlos wie gescheit,
wie skrupellos, ins Kanzleramt.

Er fiele Linken in die Zügel
Er räumte mit den Rechten auf,
Er stutzte die Parteienflügel,
die Wirtschaft ginge steil bergauf.

Er sanierte die Finanzen
und machte Armut schnell vergessen,
Er ginge mit den Wölfen tanzen
sie alle müssten Kreide fressen.

Die Berichte aus Berlin
machten endlich wieder Sinn,
wir läsen in den Protokollen,
die er eigenhändig schriebe,
was wir tun und denken sollen,
was dem Menschen noch verbliebe.

Er vergäße nicht ein Wort,
keinen Fakt und keinen Ort.
Nichts weg- und nichts hinzugedichtet
wäre dem, was er berichtet,

Ein Kanzler von den höchsten Graden,
aus eigner Kraft, von eignen Gnaden,
ein nie gekannter Supermann,
der alles weiß und mehr noch kann.

Der alles Wissen dieser Welt
ordnet und zusammenhält,
und auf den ersten Blick gewiss ein guter;
Das wäre sicher der Computer.

Doch auf den zweiten wäre klar:
Wie schön die Welt, wie sie mal war!

Den an Talenten überreichen,
mit Geisteskräften ohnegleichen,
die unsre turmhoch überragen,
den halben Gott als Seinesgleichen,
den könnte niemand hier ertragen.

Und säße solche ein Monsterwesen
am Kabinettstisch in Berlin,
in Russland, in Amerika,
im Vatikan, in China gar –

dann wäre, was der Mensch gewesen,
wohl für alle Zeit dahin.

Armin Lammer

Informationen zum Gedicht: Atemlos zur Künstlichen Intelligenz

576 mal gelesen
(Es hat bisher keiner das Gedicht bewertet)
-
31.05.2023
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Armin Lammer) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
Anzeige