archaische träume
Ein Gedicht von
Lothar Schwalm
ich sitze da und lausche der magischen musik, träume mich weg,
kontrabässe schwingen majestätisch durch den raum:
klangwelten, wie selten zuvor,
es plätschert, dröhnt, trommelt, vibriert,
ich ein glücklicher gefangener archaischer träume…
…dann wache ich auf,
schrille geigen machen auf sich aufmerksam,
eine undefinierbare tiefe stimme
bringt kontrolliert unkontrollierbare laute hervor:
ein summen, lallen, vibrieren, staunen und stöhnen,
ächzende kehlen gestalten urtöne,
donnertöne grollen vom himmel,
bombastische bässe brummen im busch
millionen flöten flöten furchtlos flötentöne ins freie:
es regnet wie nie zuvor,
kleine seen entstehen, um zu vergehen
und erneut herabzuregnen
urmächte der evolution sind am wirken,
halten das leben auf diesem planeten in gang.
helle blitze zucken vom himmel,
ich zucke zusammen und fange an, zu zucken:
erst vereinzelt, eine hand, ein fuß, eine schulter,
dann rhythmisch,
die bewegungen schnellen urplötzlich hervor,
um genauso schnell wieder zu vergehen,
ich stehe mit erhobenen armen im regen
und recke die hände gen himmel,
die tropfen rinnen über meine fingerkuppen,
die hände hinab über die arme nach unten,
benetzen mein gesicht, meine brust,
meinen bauch, mein geschlecht,
um sich anschließend mit der erde zu vermischen,
auf der meine füße geschmeidige spuren hinterlassen,
seichte tanzpfade auf dem ockerfarbenen lehmboden,
spuren der lust,
der sinnlichen hingabe an die natur,
mein sein, mein innerstes,
meine spiritualität, meine sexualität, meine lebendigkeit –
der sinne, des körpers.
ich tanze befreit den tanz des regens, der natur,
in der natur, barfuß,
nackt vom kopf bis zu den zehen,
meine hände zeichnen wilde kreise in die luft,
ich stöhne, ächze, kreische schrille schreie
in die atmosphäre,
verliere mich ganz unbändig in dieser musik,
die ganz unverfroren aus dem boden dampft
wie archaische träume.
ich gebe mich hin,
um mich ganz zu verlieren,
meine nassen hoden klatschen bei jedem hüftschwung
schwer an meine schenkel,
dann wieder zur anderen seite,
meine samenzellen werden richtig durchgeschüttelt,
fast schon aktiviert,
um später, im tanz der zweisamkeit
vielleicht noch ein weibchen zu befruchten,
ich fühle mich männlich, stark, kraftvoll und lebendig,
erregt, gewollt, begehrt, sinnlich und heiß,
mein schweiß verströmt männlichkeit,
von der ich nicht weiß, ob sie in dieser nacht
noch ein weibliches wesen zu erobern vermag.
ich lasse mich treiben vom treibsand der zeit,
regenperlen waschen meinen atem,
der in die dunkelheit der nacht verdampft,
schallwolken transportieren meine stimme,
meinen klang, mein rufen nach draußen,
locken andere geschöpfe in die unendlichkeit des lichts,
ich bebe, zittere, wittere weibliche wesen,
die mich nach ihren reisen
durch die nacht umkreisen,
wie ein hungriges rudel hyänen ihre beute.
sie stimmen mit ein in den tanz der zweisamkeit,
die musik wird lauter, erdwärmer,
alles geschieht wie von selbst
im strömenden regen vermischen, verweben wir uns,
werden eins,
unsere leiber gleiten ineinander,
aufeinander, übereinander,
vermengen, vereinigen sich,
unsere gliedmaßen zucken wild in alle richtungen,
vereinen sich mit dem grellen zucken der blitze am himmel,
das donnergrollen schluckt unsere ekstatischen schreie,
schreie voller energie und lebendigkeit,
schreie des lichtes, schreie der lust,
bis samenzellen ihren weg von körper zu körper finden,
um neues leben zu zeugen
und zellen wachsen zu lassen,
bis wieder eines unserer wesen entsteht,
die die welt erhellen und den regen herbeisehnen,
um im angesicht der dunkelheit
den tanz der zweisamkeit zu tanzen,
bis die mystische musik der nacht endet
und das leben am frühen morgen
wieder aus seinen archaischen träumen erwacht…
ls14012012
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