Wozu sind Oma und Opa da?
Als kleiner Bub, ganz ohne Schranken,
macht man sich manchmal so Gedanken.
Mama und Papa muss es immer geben,
damit entsteht auch neues Leben.
Sie müssen schließlich mit dem Storch ringen
Ihnen ein Geschwisterkind zu bringen.
Das füttern sie alle zwei Stund,
bis es fett wird und kugelrund.
Doch wozu sind in Fern und Nah
Oma und Opa eigentlich da?
Ich habe lange überlegt,
was mich damals als Bub bewegt.
Oma und Opa konnten berichten
die längsten und schaurigsten Geschichten,
von Krieg und Hunger übers Jahr
und Kriegstrauung als Ehepaar,
vom Aufenthalt im Luftschutzraum
und Nächten ohne Schlaf und Traum.
Wie Männer schlugen an die Tür:
„Schert euch sofort alle fort von hier!“
Wochenlang ging mancher Marsch,
kaum Essen, kein Hemd auf dem Arsch.
Den Siegern konnte man nicht trauen,
sie wollten nur die deutschen Frauen.
Vom Kohlrübenwinter ging die Rede
und eine Trümmerfrau war fast jede.
Sie pressten rote Rüben, brauten Bier,
denn es fehlte selbst das Klopapier.
Die erste Zeitung erschien
und im Radio der Sender Freies Berlin.
Der erste Urlaub ging für beide
In die schöne Lüneburger Heide.
Die Beatles, gerade entdeckt,
haben unsere Großeltern erschreckt.
Als ich selber wurde geboren,
gingen die Großeltern verloren.
Dafür wurden meine Eltern
für unsere Kinder Oma und Opa.
In Dias und Filmen zeigten sie gezielt,
wie Deutschland eine Mauer erhielt,
Wirtschaftswunder ihren Anfang nahmen
und die Fremdarbeiter kamen.
Das Fernsehen kam auf in schwarz/weiß,
in Autokinos war nicht nur die Bockwurst heiß.
Wie Probealarme sie in neue Bunker lockten,
die letztlich im Kalten Krieg verstockten.
Die Illustrierten schrieben immer bunter,
dafür wurden die „Grünen“ munter.
Schlager gaukelten ein heiles Leben
und im Urlaub ging es schon nach Theben.
Und jetzt sind wir Oma und Opa im Haus,
auch uns gehen nicht die Themen aus.
Die Wiedervereinigung nach der Wende
wurde digitaler Anfang und analoges Ende.
Wir erlebten Farbfernsehen und Computer
und neuerdings den W-Lan Router.
Bei Serien wie Heidi und Bonanza
war’n auf der Couch auch alle da.
Pater Ralf wurde als Kontrast
zur Kutte ein schönes Weib verpasst.
Was wir geblümt dereinst besungen
nutzten wir, wenn das Geschäft gelungen.
Und haben wir zu sehr gekeucht,
dann half vielleicht das „Hakle feucht“.
Ohne Fahrerlaubnis in den letzten Jahren
sind wir im Hühnerstall gefahren.
Wir rasen, wie im Golf zuvor,
jetzt bei Rennen mit dem Rollator.
Der Urlaub wird eine Badekur,
am Gartenteich in der Natur.
Die Enkelkinder brauchen Ruhe,
Zuneigung und feste Schuhe.
Dann können sie selbst mit uns erleben,
warum es Oma und Opa muss geben.
19.11.2015 © Wolf-Rüdiger Guthmann