Im Poesiealbum geblättert
Vor 15 Jahren fing es an,
als die Schule einst begann.
Neben der obligatorischen Zuckertüte
gab es Geschenke unterschiedlicher Güte.
Ich jedenfalls überreichte ihr stumm
ein goldverziertes rotes Poesiealbum.
Der Direktor schrieb vom Flug zu Sternen,
dafür müssten alle eifrig lernen.
Die Klassenlehrerin ließ durchklingen
dass Bienchen die Zensuren bringen.
Große Schüler schrieben kurze Reden,
dass das Leben fordert heute jeden.
Im Album die liebe Verwandtenschar
beschrieb die Schule wunderbar.
Heute kam es wieder zu mir zurück,
um zu künden von dem jahrelangen Glück.
Das Gold abgeblättert, der Einband abgegriffen,
wichtig der Inhalt, die Worte, die geschliffen.
Ich las von „Mutter und Vater ehren“
und sich „seiner Feinde wehren“.
Vom „Vaterland, das trieb hinaus“
bis zur „Stube mit Katz und Maus“.
Kaninchen, Katzen, Vögel, Hunde,
manches Tier erschien in der Runde.
Rosen, Tulpen, Vergissmeinnicht,
diese Blumen sind fast schon Pflicht.
Lernen, lernen, lernen,
sonst steht das Zeugnis in den Sternen.
Jungen tauchen selten auf, fast nie,
fehlt ihnen etwa die Poesie?
Irgendwann heißt es „Herzensdiebe“,
später erst spricht man von Liebe.
Von Liebe am Tage, von Liebe bei Nacht,
doch immer im Haus, von Eltern bewacht.
Die Schrift ist mal krakelig, mal akkurat,
in vielen Farben, sogar grün wie Spinat.
Ist eine Seite nicht per Passbild belebt
wurden bunte Abziehbilder eingeklebt.
32 Seiten hab ich gezählt,
nun wurde ich erneut ausgewählt.
Ich schrieb von Schule, Arbeit und Sport,
von Freundschaft und Liebe an einem Ort.
Von Lotto, Glück und Geld gesamt,
hab Tabak, Schnaps und Rausch verdammt.
Oh ihr Götter steht mir flüsternd bei,
dass mein Spruch auch poetisch sei.
Denn alle andern lesen ihn prompt,
wenn das Poesiealbum zu ihnen kommt.
18.03.2017 © W.R.Guthmann