Die Raupe
Die letzte Sonne wärmte den Tag,
der Wind blies gelbes Laub.
Im Grase eine Raupe lag
und befreite sich vom Staub.
Sie glaubte an die große Liebe
des Nachts im Lampenschein
und wollte drum die Erste
auf der Laterne sein.
Entschlossen stand im Gras sie auf
und erklomm den Lampenfuß.
Dabei nahm lässig sie in Kauf,
es war ein Abschied ohne Gruß.
Das Vorderteil hoch geschoben,
und das Hinterteil nachgezogen.
Damit der Aufstieg auch greife,
wurde der Körper zur Schleife.
Kaum war sie ein Stück geklommen,
der Aufstieg ging noch schnell,
da sah sie eine Katze kommen,
die schnupperte an der Stell.
Dann trippelte sie hin und her,
hat ihr Hinterteil bemüht
und dabei kreuz und quer
Mast samt Raupe eingesprüht.
Der Mast schien viele anzulocken,
er stand am Gehwegrand,
denn kaum war die Raupe trocken,
sich neues Unheil fand.
Es ist ein großer Hund gekommen,
der hob am Pfahl sein Bein,
sie hat alles abbekommen,
wie konnt es anders sein.
Es hat nicht nur gestunken,
das Eisen wurde glatt,
sie wär auch fast ertrunken,
weil‘s nicht geendet hat.
Die Raupe nun am Boden lag,
genau in einem Haufen,
dachte: „Das ist nicht mein Tag!“
vielleicht sollte ich mich besaufen.“
Doch sie kroch erneut nach oben.
Da kam der junge Zeitungsmann,
und hat sie ins Gras geschoben,
denn er lehnte sein Fahrrad an.
Als sie sich in die Höhe quälte,
wurde der Mast leicht angetippt
weil rückwärts ein Tanklaster verfehlte.
Er fuhr davon, der Mast ist gekippt.
Bei diesem langsamen Fall
dachte sie schon an ihr Ende,
denn meist folgt ein Knall,
doch es kam die Wende.
Der Mast lag endlich flach,
die Nachbarn eilten herbei,
sie machten aufgeregt viel Krach
und riefen endlich die Polizei.
Zugleich nahte die Lampenbrigade,
sie grub den Mast aus,
die Raupe kroch in die Lampe gerade,
da fuhren sie alle nach Haus.
Gern hätte ich ein Happy End
für unseren Liebeshelden
und wer sie irgendwo mal sieht,
der sollte sich bei uns melden.
26.11.2015 © Wolf-Rüdiger Guthmann