Der poetische Weihnachtsmann
Neulich war erster Advent
und ich hab auf der Couch gepennt.
Alle Gedichte für die Lieben
hatte ich bereits geschrieben.
Ich wollte mich gerade selber loben,
da kam ein Anruf von ganz oben.
Eine Stimme, weder Mann noch Frau,
ich dachte schon sie wäre blau,
sagte zu mir: „Guter Mann
dieses Jahr sind sie mal dran.
Nehmen sie es uns nicht krumm,
doch nur Gedichte schreiben ist zu dumm.
Wir wollen endlich Taten sehen,
drum werden sie zu den Kindern gehen.
Sie wurden von uns ausgewählt,
weil man uns ihr Foto gemailt.
Man sieht die Augen, grau und zart
und untenrum den vollen Bart.
Etwas Schminke und Farbe Weiß,
schon sind sie der liebe Greis.
Am 24.Dezember dann
sehen wir sie als Weihnachtsmann.
Haben sie auch weder Tochter noch Sohn,
die vielen Kinder warten schon.“
Ich suchte nach Worten, aufgeregt,
es machte pling-pling, aufgelegt.
Jetzt bin ich ein Weihnachtsmann
und weiß nicht, was der darf und kann.
Sack und Klingel braucht der Gute,
doch was ist denn mit der Rute?
Ob manch Kind zu Boden sinkt,
wenn ihm dieser Reisig winkt?
Ist das Klingeln nicht zu schrill,
sodass es keiner hören will?
Und mit Stiefeln trampeln in den Stuben
verbietet man selbst eignen Buben.
Muss ich aus dem Buch vorlesen,
das enthält, was so gewesen?
Schließlich gibt es Datenschutz,
sprayt so ein Kid auf frischen Putz.
Auf jeden Fall ich vorher bete,
bevor ich nur ein Haus betrete.
Ein Begrüßungslikör wär dann nicht schlecht,
doch ist das noch marktgerecht?
Was ist mit der Tasse Kakao,
die mir bietet manche Frau?
Soll ich sie vor Freude küssen,
oder darf es ihr Mann nicht wissen?
Was ist mit so manchem Hüpfer,
der festlich geht ganz ohne Hemd?
Literatur scheint jetzt verpönt,
die Welt ist iPods nur gewöhnt.
Sind Geschenke auch dabei
für Feuerwehr und Polizei?
Für aller Frauen- und Männerwacht,
stellvertretend in der Heiligen Nacht?
Darf ich im Krankenhaus musizieren
oder muss ich alles desinfizieren?
Bleiben Bus und Bahn einfach stehen,
oder soll ich schneller gehen?
Schwierig wird’s über den Wolken,
die Flugzeugtüren aufzupolken.
Muss ich den Schlitten selber ziehen,
oder wird ein Audi mir geliehen?
Das sind Fragen über Fragen
und niemand kann die Antwort sagen.
Drum sitze ich zur Zeit im Stüble,
am Kopfe kratz und emsig grüble.
Ein neuer Anruf kam von oben,
ich habe sofort die Hand gehoben.
Die Stimme rief: „Mach dir nichts draus,
vor dir kommt erst der Nikolaus!“
05.12.2016 © W.R.Guthmann