Der alte Stein

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
Wenn der Mensch im Dunkeln stolpert
und der Wagen auf dem Wege holpert,
in seinen Schuhen etwas reibt,
oder gar eine Sommerlawine treibt,
dann ist es meist, groß oder klein,
ein ganz normaler alter Stein.

Jahrmillionen sind sie schon alt
und finden trotzdem niemals Halt.
Sie werden hin und her geschoben,
gerollt, getitscht und aufgehoben,
für dicke Mauern aufgeschichtet,
mit schlanken Frauen abgelichtet.

Künstler hämmern daran tagelang
oder pflanzen Unkraut mittenmang.
Beim Geburtstag nahm ich einen entgegen,
der beschriftet war mit Gottes Segen.
Er brachte mich direkt zum Denken,
wie Steine unser Leben lenken.

Ehe man Papier und Bleistift erfand,
schrieb man die Botschaft in den Sand,
ritzte sie mühsam in Felsenwände
oder schnitt sie in Schiefer behände.
Moses hat zum Beispiel für Tag und Nacht
Steintafeln mit 10 Geboten gebracht.

Im Märchen "Das tapfere Schneiderlein"
ersetzte ein tropfender Käse den trockenen Stein.
Ein weiterer Stein hat die Riesen betrogen,
er ist als siegreicher Vogel geflogen.
Früher sah man Reisende eilen
zwischen Steinen verschiedener Meilen.

Dem letzten Wolf, damals nicht jetzt,
wurde ein Erinnerungsstein gesetzt.
Selbst ein mordender Hüne
bekam ein Steinkreuz der Sühne.
An manch romantischer Stelle
kommt aus dem Felsgestein eine Quelle.

Von David und Goliath gibt es Geschichten,
die auch von Steinen berichten.
Und für Fuhrwerke und Laster
schuf man mühsam das steinerne Pflaster.
Symbolisch wirft der den ersten Stein,
dessen Sünden angeblich selber klein.

Die Oma nahm einst heimlich nett
den heißen Stein mit in ihr Bett.
Für das Bügeln durch Walzengerangel
beschweren Steine die Wäschemangel.
Da sieht man Form und Größe nicht,
entscheidend ist nur das Gewicht.

Für manchen Scheibenbruch sind schuld,
ein Steinchen und ein Katapult.
Selbst in das kühle Seemannsgrab
zieht ein schwerer Stein hinab.
Steinplatten und Schindeln aus Holz
sind manch alten Daches Stolz.

Mit besonderen Steinen kann man es wagen,
mühsam den zündenden Funken zu schlagen.
Rübezahls Feind, der dürre Flint,
gab Glut und Wärme jedem Kind.
So bewahren diese Teile unserer Erde,
was war, was ist, was werde.

Hat man die Steine in Form gehauen,
kann man damit ganze Kirchen bauen.
Nur die Steinmetze aus allen Landen
in Babel keine gemeinsame Sprache fanden.
Selbst Steinbrüche, die tot und leer,
geben noch Krimikulissen her.

Ihr seht, so ein alter Stein
kann praktisch und auch nützlich sein.
Drum schimpft nicht, wenn er im Wege liegt,
hebt ihn auf, wenn ihr ihn kriegt.

18.08.2014 © Wolf-Rüdiger Guthmann

Informationen zum Gedicht: Der alte Stein

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30.09.2014
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