Das Land Unbekannt
Auch ich wollte jüngst in das Land,
das im Atlas nur heißt „Unbekannt“.
Im Reisebüro hat man warm gelächelt,
mit dem Ventilator Kaltluft gefächelt.
Sie fragten, ob ich denn auch wüsste,
dass man sich dort zur Begrüßung küsste.
Ich konnte es verstehend bejahen
wollte mich trotzdem dem Lande nahen.
Ich ließ erst viele Euros klingen
und lernte dann das Fallschirm springen.
„Unbekannt“, mein Urlaubsland
ich als Insel im Atlantik fand.
Es ist in Wirklichkeit lang und schmal,
ähnelt von oben einem Genital.
Als Noah seine Arche baute,
gerade das Mittelmeereis taute.
Als sich der Meeresspiegel hob,
auch die Wassermasse schob.
Und an der tiefsten Stelle Land
gab es den geringsten Widerstand.
Glatte Schichten Torf und Lehm
machten es dem Druck bequem.
An einer Stelle gab die Erde nach,
entgegengesetzt der Felsen brach.
Die Torfschicht wurde aufgerissen,
eine neue Insel in das Meer geschmissen.
Mit Schwung sie in den Strom geriet,
der nach Westen zum Atlantik zieht.
Und so treibt sie hin und her
übers weite offne Weltenmeer.
Wollt ihr wissen, wo das war?
Na, zwischen Afrika und Gibraltar.
Viele haben sie schon gefunden
und als neue Heimat gebunden.
Die durchgehende breite Straße
wurde zur Segelflugzeugstartertrasse.
Aus dem einheimischen Holz
bauen sie dort die Segler stolz.
Mit des Walfischs gespaltener Haut
man dafür die Tragflächen baut.
Ein Verlassen der Insel wird koordiniert
indem man einen Segler exportiert.
Drum muss zu Reisen in die Fernen
jeder das Fliegen erlernen.
Die Insel hat keinen Hafen,
in dem verrostete Schiffe schlafen.
Soll dort ein Besuch gelingen,
muss man mit dem Fallschirm springen.
So wird unbewusst sortiert,
wer sich fürchtet und geniert.
Nach dem Sonnenuntergang
gilt es dort eine Stunde lang
nackt im Dunkeln herum zu wandeln
und zu echter Liebe anzubandeln.
Die Befriedigung ist Pflicht,
denn ohne Kinder geht es nicht.
Ich buchte, startete und sprang,
auch die Landung gut gelang.
Doch im letzten Zipfel Wüste
mich ein ganzer Stamm abküsste.
Und gerade werden alle munter,
denn die Sonne geht gleich unter.
21.04.2014 © Wolf-Rüdiger Guthmann