Sie fragt
Ein Gedicht von
Sylvia Seifert
Sie fragt mich, warum ich denn besonders sei? Denn sie hätte da so was gehört.
Ja, sagte ich, das ist so ne Sache.
Denn ich mache
Ja eigentlich nichts anderes als du.
Ich atme, laufe, stehe,
ich esse, liebe und sehe
Gespenster meiner Vergangenheit,
einen Vater der schreit, eine Schwester die weint.
Meine Knochen sind wie deine,
beim Joggen schwer,
beim Wiegen mehr
als ich ertragen will.
Was gibt’s noch, was uns verbindet,
ach ja, wir beide sind irgendwie erblindet.
Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht,
Wir tragen Klamotten aus Bangladesh,
wir rüpeln durch den Straßenverkehr.
Wir sind hoch technisiert, informiert, und mehr.
Wir legen die Ohren an, wenn unser Held ins Mikro spricht.
wir sehen alles, nur uns sehn wir nicht.
Wenn ich das so lese, es wiegt wie schwere Steine: eine wie alle und alle wie Eine.
Also warum sollte ich so anders sein?
Ich hab mich oft schon gefragt, was mich besonders macht.
Was es ist, das so ungeniert durch meine Adern fließt,
meine Existenz vergoldet und meine Aufmerksamkeit genießt.
Ich hab mich gefragt, warum ich auf der Sonnenseite sitze,
warum ich schwitze
vor Erfolg und Schönheit.
Warum alles funktioniert, was ich beginne.
Warum ich zufrieden altern kann und Lebensträume sinne,
die dann in Erfüllung gehen.
Ich hab dann mal hingesehen, mich ganz genau mal angesehen und es ihr gesagt:
Ich bin ein Mensch der lacht, ein Mensch der sich Freunde macht.
Ich bin reich an Gefühlen und Trieben, die ich lebe und die mich lieben.
Ich kletter auf Dächer die die Welt bedeuten, für Nachbars Katze, den Gingko im Garten und den Leuten,
denen ich einen Moment schenke. Einen kleinen, aber reinen Zeitraum im Hier und Jetzt.
Ich alter Tag für Tag und nehme es hin.
Ich arbeite weil es mir Spaß macht ohne Sinn auf das beste Gehalt, auf die beste Gestalt beim Betriebsfest.
Ich sehe mich und nicht das, was ich nicht kann.
Auch wenn es fügsamer wär in einer Welt aus Vergleich und Wahn nach Geltungsbedürfnis und nach „Ich bin auch hier, sieh du mich doch an.“
Ich höre zu und lache weil und wenn es mich packt.
Ich habe meine kleinen Lebenslieben. Lebenslügen.
Ich lache oft, ich lache laut,
Und wer mir nicht traut, den lass ich in Ruh. Denn ich ich bin wie ich bin, und du bist du.
Sie fragt, das ist alles? Das ist die Antwort?
Das allein... das kann es nicht sein?
Doch sage ich: ich bin genug. Und das macht mich besonders.