verbunden

Ein Gedicht von Lothar Schwalm
Die Musik nimmt mich gefangen,
von der ersten Sekunde an,
ich schwinge und schwebe,
bebe im Takt und schreie nach mehr,
ich sehen mich danach, Flugstunden zu nehmen,
wie ein Seeadlerküken an der Steilküste,
breite meine Schwingen aus
und lasse mich Gehen und Treiben,
wiege mich im Takt durch die Lüfte,
nehme jeden Aufwind mit,
um mich dann wieder auf den Wellen niederzulassen,
Schaumkronen und ich tanzen um die Wette,
solange keiner verliert,
die Natur spielt mit den gezeiten,
die Zeit spielt mit der Natur und verrückt,
Uhren drehen sich rückwärts,
um die Zeit zu vergessen, so wie ich,
mein Zeitgefühl ist schon lange dahin,
und das ist gut so, fühlt sich gut an.

Rauchiger Jasmin weht mir durch die Nase
und macht mich ein bisschen verrückt – nach Meer,
ich bin, wo ich bin, tanze barfuß auf den Wellen,
trommele mit den Füßen
auf den alten staubigen Lehmboden,
trommele mit den Fäusten auf meine Brust,
tanze ungeahnte und unbekannte Schritte,
Ameisen lassen erstaunt ihre Früchte fallen
und sehen mir begeistert zu,
klatschen im Ameisentakt zur Musik.

Mit verbundenen Augen lausche ich der Musik,
die aus dem Inneren der Erde zu kommen scheint,
trommeln und flöten, flöten und trommeln
spielen und sprechen miteinander,
lassen mich den Rhythmus tanzen,
den ich mit meinen Füßen aus der Erde aufsauge und spüre,
ich gebe mich der Dunkelheit hin, die mich umgibt,
die Ameisen tanzen mit,
wir sind alle Brüder, verbunden,
lediglich unsere Körper unterscheiden sich voneinander,
die Achtung und der Respekt voreinander
die Nähe und den Umgang miteinander,
wir alle feiern ein Fest des Glücks,
des Lebens, der Verbundenheit,
niemand ist falsch oder schlecht,
alle sind richtig und echt, wahrhaftig!

Noch immer folgen meine Füße intuitiv
dem Takt und der Melodie der Musik,
die von Ameisengesängen begleitet wird,
das Band um meine augen lässt mich
die reale Welt vergessen
und gleichzeitig die spirituelle Welt entdecken,
meine Füße spüren den sandigen Boden,
entdecken jede noch so kleine Unebenheit,
bestimmen bewusst den nächsten Schritt,
meine Arme suchen weit ausgestreckt,
den nächsten Felsen zu erreichen,
der weit Weg ist.

Das Tuch um meinen Kopf wird feucht
durch den Schweiß,
ich verdunste mehr Flüssigkeit,
als der gesamte Ameisenstaat
in einem Monat braucht,
kleine Bäche salziger Flüssigkeit
rinnen meinen Körper hinab
und versammeln sich gemeinschaftlich
und wissbegierig zu meinen Füßen,
um von dort eine weitere Reise
durch den weiten Lehmboden anzutreten.

Grillen und Grashüpfer haben sich zu uns gesellt
und stimmen mit ihren Hinterbeinen
in den Rhythmus mit ein,
ein Schnarren, Schaben und Rastern ist zu hören,
dass es nur so eine Freude ist.

Auf einmal kann ich eine Stimme vernehmen,
einen Bass, wie ich ihn noch nie zuvor gehört habe:
satt, tief, männlich, urig,
ich erschaudere voller Ehrfurcht
vor dieser magischen Stimme,
sie reiht sich ein und gestaltet und prägt den Klang
dieser Naturmelodie ganz wesentlich mit,
ich staune, wie lange diese Stimme
den tonalen Bass halten kann und merke,
wie ich nach Luft schnappe,
erst jetzt wird mir klar, dass es mein Körper ist,
der diesen wunderschönen männlichen Bass hervorbringt,
dass ich mit tiefer und lauter Stimme
meinen Erdungsgefühlen und –empfindungen
Ausdruck verleihe,
ich bin erstaunt über mich selbst
und erfreut und glücklich zugleich.

Ich höre, wie der Chor der Ameisen
und Käfer und Hüpfer zu tanzen beginnt,
sie stampfen abwechselnd mit den linken
und rechten Hinterbeinen in den feuchten Sand,
ihr stampfen schwingt durch den Boden hindurch
bis zu meinen Füßen und kommuniziert
und korrespondiert mit meinen Schritten,
die nach wie vor unablässig auf den Boden stampfen,
als würden sie eine geheimnisvolle Botschaft aussenden.

Meine Hände kreisen um meine Handgelenke,
als wollten sie die Natur um mich herum
beschwören und verzaubern,
meine Arme kreisen um meine Hände
und unterstützen ihre Intention,
meine Augen vermissen nach wie vor kein Licht,
und meine restlichen sechs Sinne
spüren die Natur und meinen Puls,
der im Takt der Musik schlägt, mich leitet
und durch diesen phantastischen wie endlosen
tanz der Nacht führt und begleitet,
ich gehe völlig auf in dieser Welt,
und während mein Bass weiter schwingt,
tanze ich bis in den frühen Morgen hinein…


ls220111

Informationen zum Gedicht: verbunden

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24.07.2011
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