tage, die ich (nicht) mag
Ein Gedicht von
Lothar Schwalm
Ich bin schlecht gelaunt, grummele vor mich hin,
bis schließlich auch mein Bauch grummelt,
aha, denke ich, erste Anzeichen machen sich mal wieder breit,
in mir,
morgen nacht ist Vollmond,
ich schlafe schlecht und unruhig,
sehne mich nach Abstand und Nähe zugleich,
was wird er sagen? typisch Frau?
bist du sicher, dass du weißt, was du willst?
das ist es ja, ich weiß es eben nicht.
die nächste Nacht schlafe ich noch schlechter,
leichte Bauchkrämpfe kündigen dich an,
dann, im Morgengrauen ist es soweit:
Blut tropft von meinen Lippen
und versickert Tropfen für Tropfen in der Einlage –
zumindest denke ich das, oder besser: ich hoffe es!
irgendwie mag ich diese Tage nicht –
obwohl sie mir seit langem so vertraut sind.
Menarche nennt man es, wenn ein Mädchen
das erste Mal blutet, wenn es zur Frau wird.
ich merke, dass ich gar nicht weiß,
wie die letzte Blutung einer Frau heißt,
aber wie ich die Mediziner kenne,
haben sie auch dafür einen Namen.
die Zeit zwischen Menarche und letzter Blutung
ist meine Fruchtbarkeit.
und die sichtbarsten Zeichen meiner Fruchtbarkeit
sind meine Tage, nicht deine und schon gar nicht seine,
Nein: meine Tage, meine Tage,
meine Regel, Periode, meine Menstruation oder Mens,
manche sagen auch Unpässlichkeit
oder Frauenleiden dazu,
ich finde „meine Tage“ immer noch am Besten,
auch wenn ich sie nicht immer mag:
„meine Tage“ klingt ziemlich neutral
und doch persönlich, jeder weiß, was gemeint ist,
sogar die Männer.
Mein Bauch krampft sich wieder zusammen
und ich werde unsanft an dieses ritual
meines Körpers erinnert: aua!
Je mehr ich darüber nachdenke,
umso mehr wird mir klar,
dass mich nichts in der Welt so sehr
zu einer fruchtbaren Frau macht,
wie dieses jahrmillionen alte Ritual,
wie dieser Blutfluss,
der so alt ist, wie der Mond.
oft bin ich genervt von der sauerei,
den Flecken, die ich versuche,
mit Slipeinlagen zu unterbinden, so gut es geht.
Die Wäsche ist eine Sache,
aber was mich wirklich nervt,
sind die körperlichen und seelischen Begleiterscheinungen:
schlechte Laune, schlechter Schlaf,
Gereiztsein, Bauchweh bis hin zur Übelkeit,
Krämpfe im Unterleib, das ständige Bedürfnis,
mich duschen zu wollen, Unkonzentriertheit
und immer wieder die heimliche Angst,
es könnte trotz der gesamten Hygieneindustrie
mal was durchsickern, ich als Auslaufmodell,
man könnte mir ansehen, dass ich meine Tage habe,
männer könnten es mir auf diese Weise ansehen,
dass ich eine Frau bin, dass ich blute,
schrecklicher Gedanke!
und Frauen könnten denken,
ich kann nicht auf mich und meinen Körper aufpassen,
noch schlimmer!
Und auf der anderen Seite denke ich dann wieder:
welch ein Zeichen von Weiblichkeit,
von Fruchtbarkeit, von der Möglichkeit,
Kinder zu gebären, Mutter zu werden!
mehr als jeder Busen!
Auch wenn meine Brüste immer sichtbar sind,
so haben meine Tage für mich noch mal
eine ganz andere Bedeutung
von Frausein und Weiblichkeit,
gerade weil sie nicht ständig wahrnehmbar sind,
sondern nur einmal im Monat,
einmal pro Mondphase.
Mein Freund denkt dann immer,
dass dann eine Pause angesagt ist und…,
komisch, ich denke dass dann meistens auch,
obwohl ich gerade merke,
dass ich ihm noch nie gesagt habe,
dass ich manchmal gerade dann richtig Lust kriege,
mit ihm zu schlafen,
und dann denke ich wieder:
wenn er all das Blut sieht,
hat er bestimmt keine Lust mehr.
ich glaube, die wenigsten Frauen und Männer ahnen,
dass die Tage manchmal auch regelrecht
Lust machen können,
im wahrsten Sinne des Wortes,
aber es ist ja auch oft genug anders.
Oft sind sie ja auch eine Erlösung:
Gott sei dank, nicht schwanger!
tori amos singt in ihrem song
„silent all these years“ nicht umsonst die Zeile:
„boy, you best pray that i bleed real soon”
Irgendwie kriege ich mehr und mehr das Gefühl,
dass meine Tage schöne und schwierige Tage
zugleich sind:
Schmerzen und Launen haben genauso ihren Platz
wie der Mythos und die Wirklichkeit
von Weiblichkeit und Fruchtbarkeit:
ein natürlicheres Ritual scheint es mir nicht zu geben,
außer vielleicht dem Leben-Sterben-Zyklus
an sich und im allgemeinen.
Und wir Frauen müssen und dürfen es
Monat für Monat neu erleben –
schön und ambivalent zugleich!
Zumindest werden die Männer nicht so permanent
und nachdrücklich an ihre Fruchtbarkeit erinnert –
eigentlich schade, täte ihnen auch mal ganz gut!
je mehr ich über mich, meinen Körper
und die Natur nachdenke,
desto mehr stelle ich fest:
mit den schlechten Gefühlen mischen sich auch
Gefühle von Glück und Stolz,
stolz, eine fruchtbare Frau zu sein,
auch an den Tagen, die ich (nicht) mag…
ls030110