Spielball der Ewigkeit

Ein Gedicht von Lothar Schwalm
Sie kämpft seit Stunden gegen anonyme Farbplättchen –
unbekannte Gegner scheinen sich gegen sie verschworen zu haben –
der Computer als Beschäftigungstherapeut
Ich betreibe indessen Nestpflege,
verschönere mein Zimmer mit selbst gemalten Pastellkreidebildern
Im Hintergrund seltsam sphärische Klänge,
Musik für meine Magengegend
Draußen wüten Orkanböen auf Mitternacht zu – ich fühle mich wohl
Ab und zu vernehme ich ein leises „Oh, shit!“, das mich wissen lässt,
dass die Farbplättchen wieder gesiegt haben –
ein wirklich gemeiner Gegner, so ein PC
Ich spüre meinen Rücken und wünsche mir ein gesundes 2003.
Gleich ist dieses Jahr schon 47 Stunden alt.
Kaum zu glauben, wie schnell das geht,
die Zeit scheint zu rasen und ich mit ihr,
fühle mich wie ein Spielball der Ewigkeit,
so kurz vor Mitternacht.
Meine Laute beunruhigen mich nicht,
Tourette kann auch nett sein – zu mir,
es gibt eine gewisse Sicherheit, fast schon Routine
und die Gewissheit, dass ich dazugehöre:
„Eine meiner wenigen Familien“, sehe ich mich es niederschreiben,
„Einer meiner wenigen Heimatorte“, spüre ich mich es denken.
Und das stimmt wirklich.
Schlimm, wer heimatlos ist, denke ich.
Dann: Gefühle von Traurigkeit, Schwermut, Verlorenheit
und ich besinne mich auf das, was ich habe:
mich und meine Stärken – und die Fähigkeit,
nach langen Durststrecken wieder aufzutauchen
aus dem Dunkel, rein ins Licht, wie eine Motte,
eine Motte, die jede Nacht aufs Neue nach dem Licht der Sterne greift,
unaufhaltsam und unerschrocken,
eine Utopie zum Wahrwerden,
Träume, die gelebt werden wollen, so wie meine Träume,
an die ich mich oft nicht so wage, wie sie es verdient hätten,
und dann merke ich plötzlich:
Nach jeder Nacht erwacht ein Morgen, das Dunkel weicht dem Licht.
Und indem mir dies bewusst wird, weiß ich auch:
Es lohnt sich, zu glauben, dass Du nicht nur
ein Spielball der Ewigkeit bist.


ls020103

Informationen zum Gedicht: Spielball der Ewigkeit

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27.07.2011
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