Heilung

Ein Gedicht von Lothar Schwalm
Tränen bahnen sich ihren Weg
leise und unaufhaltsam
durch mein Gesicht,
Salzwassergespinnste,
die mich durchqueren,
wie ein Raumschiff die Kanäle des Mars.
Tiefe Gefühle kommen an die Oberfläche,
geheimnisvoll und verborgen
dringen sie in mein Innerstes,
drohen mich zu zerreißen,
meine Traurigkeit bahnt sich ihren Weg
durchs Dickicht nach oben
ans Licht des Tages,
mein Lebenslicht,
lange erloschen einst,
und nun zu neuem Leben erwacht,
zu flammenden Feuern entfacht,
glüht und lodert
das Leben in meinen Augen,
die eben noch der Quell
meiner Tränen waren.
Doch das Leben siegt tausendfach,
immer wieder,
über jeden Keim einer Depression.
Ich darf trauern,
tief und unergründlich,
lange und intensiv,
damit die salzigen Tropfen fließen können,
damit aus Tropfen Rinnsale werden,
aus Rinnsalen Bäche,
und aus Bächen Sturzbäche.
Und wenn die Quelle dann irgendwann versiegt,
dann ist es gut für heute,
dann kommt der Körper zur Ruhe,
und meine Seele tankt Kraft,
damit das Leben zurückkehren kann,
in mich,
in jede Faser meines Körpers,
dann beginnt die Zeit des Erwachens,
des Auferstehens
wie aus einem tausendjährigen Schlaf.
Die Energie meines Lebens kehrt zurück,
um mich zu einem Lebe-Wesen zu machen,
nach all dem Schmerz,
zu einem lebendigen Wesen,
einem Wesen voller Leben,
das kämpft und ringt,
um zu heilen,
um den Schmerz nicht gewinnen zu lassen,
diesen unbändigen Schmerz zulassen zu können,
wieder und immer wieder,
bis zur völligen Erschöpfung,
damit danach die Ruhe eintritt,
in der sich alle Kräfte erneut sammeln.
Und jedes Mal passiert ein kleines Wunder:
Jedes Mal, wenn die Kraft zurückkehrt
in meinen Körper,
wird meine Seele wieder ein kleines bisschen heiler,
jedes Mal verdunstet dann eine Träne
und braucht nicht mehr geweint zu werden.
So verringert sich die Traurigkeit von Zeit zu Zeit,
und das Leben in mir
kann mehr und mehr erblühen,
wie ein immer währender Frühling.
Und eines Tages
wird aus dem Frühling ein Sommer,
mein Sommer;
dann wird mir die saisonbedingte Winterdepression
so fremd sein,
wie Wasser auf dem Mond.
Und das fühlt sich unendlich gut an.
Es ist ein Weg der kleinen Schritte,
den ich gehe, den wir gehen,
ich und mein inneres Kind,
der kleine Lothar,
einen langen, steinigen Weg,
an dessen vielen Gabelungen
immer wieder ein bisschen Heilung wartet,
auf uns, auf mich.
Wer weiß, vielleicht werde ich eines Tages
mehr geheilt sein,
als ich heute zu träumen wage.
Etwas, worauf ich mich jetzt schon freuen kann…


ls230407

Informationen zum Gedicht: Heilung

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24.07.2011
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