Erotische Tafel
Ein Gedicht von
Lothar Schwalm
Sonne, Sonne, Sonne,
an diesem schönen Morgen
noch bleibst Du zaghaft,
der Himmel wolkenverhangen
nur hie und da ein blaues Loch
und immer wieder bahnen sich
Deine Strahlen einen Weg
durch das nasse Grau.
Ich bin ganz bei mir,
fühle die kühle Frische des Tages,
spüre meine Dankbarkeit
für die Begegnungen des gestrigen Abends,
unglaublich, wie viel Nähe und Intimität
zwischen Menschen entstehen kann,
unglaublich schön
wir haben uns begrüßt,
freundlich bis leidenschaftlich,
zart bis innig,
haben gegessen und getrunken,
Leidenschaften des Gourmets genossen,
und zwischendurch immer wieder
erotische Buchstabensuppe,
Texte zum Lauschen und Hinhören,
zum Verschmelzen und Dahinschmelzen,
von Vereinigung und auch wieder Trennung,
das Auf und Ab des Lebens,
Worte voller Anmut und Hingabe,
Lust und Phantasie sind zu hören,
und machen mich heiß
wie die Pastinaken-Suppe zu Beginn
unseres mehrgängigen Menüs.
Zwischendurch erste Streicheleinheiten
das Hungergefühl weicht dem Durst
nach Bewegung.
Wir tanzen:
Alleine, zu zweit, zu dritt,
mit Füßen und Rädern,
für uns und mit anderen,
barfuß und in Socken,
die Bewegung macht Lust auf mehr.
Immer neue Figuren und Schritte
werden ausprobiert.
Frauen und Männer tanzen mit
Frauen und Männern, sinnlich,
schön, eng an eng, erotisch,
lustvoll, hingebungsvoll,
viel Vertrautheit und Nähe umgibt uns,
alles darf da sein, alles hat Platz.
Dann, spät in der Nacht,
rücken wir zusammen,
bilden einen Stuhlkreis,
keiner weiß, was kommt.
Dann beginnen sanfte Hände,
mich zu streicheln,
am Kopf, hinter den Ohren,
an den Schultern und im Nacken,
ich schließe die Augen, gebe mich hin,
folge den behutsamen,
sinnlichen Bewegungen
und kann beobachten,
wie andere sie ebenfalls genießen.
Ich bekomme Lust, zu geben,
ebenfalls aktiv zu werden
und verwöhne meine Nachbarin,
zarte Liebkosungen
an Schläfe und Ohrläppchen,
einen Kuss auf die Stirn,
meine Hände wandern hinab
bis zu ihren Brüsten
und berühren sie sanft.
Ich hauche ihr meinen Atem an den Hals,
in den Nacken,
die Lust packt mich, und ich kann sehen,
wie auch die anderen geben und nehmen,
wie sie es genießen.
Erotische Sekunden werden zu Stunden,
die Zeit scheint sich davon zu schleichen,
still zu stehen,
alles geht, und nichts scheint vergänglich
lustvolle Gefühle und eine passende Musik
plätschern durch mein Bewusstsein,
ich genieße mit allen sieben Sinnen,
gebe und nehme und freue mich,
dass ich so intime Momente
mit so besonderen Menschen teilen darf.
Ich spüre mein Glück
und das Glück der anderen.
Eine besondere Atmosphäre umgibt uns.
Es ist nicht nur der Ort und das,
was uns hierher geführt hat:
Jeder und jede einzelne hat teil
und ist behutsam,
jeder trägt zu dieser
Vertrautheit und Nähe bei,
auf seine und ihre Weise,
ein unbeschreibliches Flair,
das wir uns erschaffen haben,
wie ein Kunstwerk.
Wir alle genießen es,
wir alle haben daran teil, wir alle.
Momente, die stehen bleiben,
die ich immer wieder gerne
mit der erotischen Tafel in Trebel
in Verbindung bringen mag.
ls030308