Der Tod und das Mädchen
Der Schnitter stand am Eichenbaum,
die holde Jungfer sah ihn kaum.
So harrte er, geschickt versteckt,
die Hand schon nach ihr ausgestreckt.
Die Jungfer pflückte Blümlein, fein
für´s sterbenskranke Mütterlein.
Die lag zu Haus´ in großer Not,
der Himmel trug schon Abendrot.
Der Schnitter trat zu ihr an´s Licht,
als feiner Herr, man glaubt es nicht.
Ein Jüngling schien er, stark und gut,
die Jungfer war voll Herzensglut.
Ihr Liebreiz hold, von großer Pracht,
die hat den Schnitter zahm gemacht.
Er sprach zu ihr: „Du schönes Kind,
was wandelst du im Abendwind?“
Da klagt die Jungfer ihm ihr Leid,
in ihrem weißen Sonntagskleid.
Die Mutter krank, so groß die Not,
die nun seit Wochen ihnen droht!
Der Schnitter sprach: „Ich helfe dir,
so komm denn nur und folge mir.
Doch vorher bitt´ im Sonnenglanz,
ich freundlich nur um einen Tanz!"
So gleich erklang ein Flötenspiel,
was jener Jungfer sehr gefiel.
Sie ahnte nichts, ob der Gefahr,
der Jüngling tanzte wunderbar!
Dann hat er sie nach Haus gebracht,
der Mond schien hell, es wurde Nacht.
Das Mädchen ließ zur Tür ihn ein,
bracht´ Muttern froh die Blümelein.
Die Mutter hat ihn gleich erkannt,
den Schnitter, auch als Tod bekannt.
„Was machst du hier, alter Gestell´,
was stehst du hier am Bettgestell?“
„Kommst du mich holen, heute Nacht?
Dein Anblick mich sehr glücklich macht!"
Der Tod erhaben, flüstert still:
„Du bist es nicht, die ich heut´ will!"
„Nicht dich, dein holdes Töchterlein,
dass nehm´ ich mit, die wird nun mein!
Zu lang war ich voll Bitterkeit,
jetzt wächst in mir die neue Zeit!"
„Du aber bleibst noch viele Jahr´,
auf dieser Welt, so wunderbar,
werde gesund und spür´ den Schmerz,
der dir durchdringt dein müdes Herz!“
Ein Poltern klang, ein ängstlich Schrei,
das Licht verlosch, es war vorbei.
Der Tod mit ihrem Kind hinfort,
die Mutter blieb an dunklem Ort.
So steht des Nachts am Eichenbaum,
ein altes Weib, man sieht es kaum,
beweint das einzig´ Glück, ihr Kind
und traurig weht der Himmelswind.
© Hansjürgen Katzer, Juli 2011