WOLLE UND SEIN KLASSENLEHRER
Ein Gedicht von
Alfred Plischka
Er wurde überall nur "Wolle" genannt. Nicht nur, weil sein Vorname Wolfgang war, sondern weil sein Haarkleid aus einem einzigen Wollknäuel zu bestehen schien. Unter diesem verbarg sich ein Gesicht, auf dem sich ein Meer von Sommersprossen befand und aus dem 2 listig und verschmitzt blinzelnde kleine Augen lugten, die mit der Welt und Wolles Mitmenschen in Kontakt traten.
Wolle war nicht das, was man unter einem Musterschüler verstand. Vielmehr war er für jeden Schabernack zu haben, mit dem man seine Umgebung und vor allem die Lehrer der Schule "auf die Palme" bringen konnte. Und er hatte dabei die Freude der Mitschüler auf seiner Seite, Für sie war Wolle geradezu ein Garant, den manchmal langweiligen und eintönigen Schulalltag durch seine Späße zu beleben.
Herr Gärtner, sein Klassenlehrer, hatte oft genug seine Not und Mühe mit ihm und sagte dann meist genervt: "Wolle, ich heiße zwar Gärtner, aber ich bin nicht dein Kindergärtner auf Lebenszeit, du musst auch lernen, an dir selbst zu arbeiten, wenn man dich ernst nehmen soll !"
Immer wenn sich die Lehrer der Klasse mal wieder über Wolle beklagten, war es jedoch sein Klassenlehrer, der für ihn "in die Bresche" sprang und die Kollegen um Verständnis für sein pubertierendes Sorgenkind bat.
Wolle wusste, was er Herrn Gärtner zu verdanken hatte und bemühte sich, ihm dies in mancher Unterrichtsstunde durch besonderes Engagement zu danken. So wurden denn die Deutsch- und Religionsstunden von Herrn Gärtner durch manchen klugen Beitrag von Wolle aufgewertet und das Leuchten in den Augen von Herrn Gärtner ließ erkennen, dass er sich in seinem Bemühen um Wolle nicht im Stich gelassen fühlte.
Und wenn Herr Gärtner Wolle dann auch noch vor versammelte Klasse für seine Beiträge lobte, konnte man förmlich sehen, wie dieser über sich hinauswuchs und die pädagogische Zuwendung seines Klassenlehrers in vollen Zügen genoss.
So war denn das Verhältnis von Wolle und Herrn Gärtner von gegenseitigem Respekt und beiderseitiger Zuneigung geprägt.
Das hinderte Herrn Gärtner jedoch nicht daran, Wolle gegebenenfalls auch die "Leviten zu lesen", wenn dieser mal wieder über die Stränge schlug und seine Grenzen nicht erkennen wollte.
Manche Kollegen waren geradezu neidisch auf Herrn Gärtner und fragten sich, wie er es eigentlich schaffe, Wolle so für sich einzunehmen und welches Geheimnis der pädagogischen Kunst er ihnen denn wohl vorenthalte. Es könne doch nicht nur daran liegen, dass er der Klassenlehrer sei.
Herr Gärtner antwortete ihnen dann immer: " Man muss versuchen, den Schülern - wie seinen Mitmenschen im Leben auch - "auf Augenhöhe", d.h. als Mensch zu begegnen und nicht als jemand, der Macht zur Durchsetzung seiner Interessen benutzt. - Das Leben ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Nur wer gibt, bekommt auch etwas züruck.Diese Erfahrung hat mich in meiner Tätigkeit als Lehrer geprägt. Wir müssen uns als Lehrer in unserem Tun jeden Tag kritisch hinterfragen und dürfen uns dabei nicht auf unsere Tätigkeit als Lehrer beschränken. Wir sind gleichermaßen auch "Schüler",
die in ihrem Beruf die Chance erhalten, dazu lernen zu dürfen. Wir müssen diese Chance allerdings dann auch ergreifen und bereit sein uns zu verändern."
A.P.