Wahnbild

Ein Gedicht von Hans Hartmut Dr. Karg
Wahnbild

Vormitternächtlich hielt der Schlaf die Wacht
Und Orpheus gab mir jene Sanftbetäubung,
Mit der zu mir kam eine ruhige Nacht –
Ganz ohne Schmerz und ohne Angstbehäubung.

Als nun der feine Morgen langsam kam,
Erschien ein Trugbild mir in meinem Schlaf
Mit Graugewand, Kapuzenhut und lahm
Stand es bewegungslos da wie ein Schaf.

Und wie von einer Geisterhand gehoben
Verharrte es erstarrt im Mönchsgewand,
Kam als Wahnbild dann aus dem hohen Bogen,
Bewegungslos, ich sah noch keine Hand.

Dann konnte ich erschreckt es endlich sehen:
Das Wesen hatte wirklich kein Gesicht,
Konnte von selbst scheinbar nicht gehen,
Schien schwebend, ohne jede eigne Sicht.

Die Sterne schimmerten hindurch,
Denn das Gewand war körperlos.
Da, jetzt hob es die Knochenhand –
Und dieses Bild ließ lange mich nicht los.

Doch da ertönte laut der Amselschlag,
Er rettete den eingeträumten Morgen,
Weil jetzt langsam aufstand der neue Tag:
Vorbei das Wahnbild – und die Nächtesorgen...


©Hans Hartmut Karg
2019

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Informationen zum Gedicht: Wahnbild

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19.03.2019
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Hans Hartmut Dr. Karg) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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