Frau Holle und der Blinde

Ein Gedicht von Jürgen Wagner
Es war in jener heil‘gen Zeit,
die rau und kalt und doch geweiht
Ein blinder Mann kehrt‘ spät nach Haus
Da zog sein Hund und wollt‘ hinaus
 
Er hörte wilde Winde weh’n,
er hob den Kopf, konnt‘ plötzlich seh’n:
ein Schiff vom Himmel kam im Licht
und fuhr, als hätt' es kein Gewicht
 
Es schwebte sanft herab zur Erd‘
und landete ganz unversehrt
mit Elfen, Tieren und der Frau
Der Mann, er wusste ganz genau:
 
‚Frau Holle, rief er, ich kann seh’n!
Ich bitte Dich, kann es gescheh’n,
dass ich für immer alles schau?‘
Da sprach zu ihm die hohe Frau:
 
‚Ich geb' dir heute eine Wahl:
schau Glück und Leid ganz ohne Zahl
für dieses eine lange Jahr -
Du kannst auch, wie heut‘ wunderbar
 
zur Rauhnachtszeit stets bei uns sein‘.
‚Ich nehm‘ das Jahr und gehe heim!‘
Er sprach entschlossen und ganz froh ...
Die Tiere seufzten irgendwo
 
‚So werde sehend für die Welt,
doch blind für uns – wie’s dir gefällt!‘
Sie strich mit ihrer sanften Hand
ihm über’s Auge und entschwand
 
Sein Hund, der brachte ihn zur Stadt
Kaum kam er zu dem Haus hinab,
war’n ihm die Augen aufgetan
Doch blieb in ihm ein leiser Gram


Nach einer Sage, überliefert von H.F. Blunk, die ein wenig an den Adventschoral 'Es kommt ein Schiff geladen', erinnert, in dem Maria den Sohn Gottes auf die Erde bringt

Informationen zum Gedicht: Frau Holle und der Blinde

1.737 mal gelesen
(Eine Person hat das Gedicht bewertet. Der Durchschnitt beträgt 3,0 von 5 Sternen)
-
17.01.2016
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Jürgen Wagner) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
Anzeige