Fragen an das Leben
Ein Gedicht von
Lothar Schwalm
Zeilen sollen sich finden,
wollen sich finden,
irgendwo auf diesem Blatt Papier,
irgendwo auf dieser endlosen Weite leerer Gedanken –
zwischen Trostlosigkeit und Zuversicht –
Niemandsland alles Möglichen –
Gedanken schwer wie Blei, leicht wie ein Schmetterling –
Chaos der Gedanken zu Wortreihen wachsen möge,
Gedankenfragmente aus alten Zeiten
mischen sich mit neuen Gefühlen,
warum das alles?
Fragen an das Leben – um zu sterben,
reicht es nicht,
unzureichend gelebt, reichlich gestorben,
Lust und Leid als Zwillinge des Fleisches,
gestern noch einer Frau die Schenkel geöffnet,
einfach eingedrungen, egoistisch, bis zur Erschöpfung,
geflüchtet, um zu vergessen,
Trostlosigkeit, die erstickt,
weggefickt,
fast spüre ich die Lust, vergewaltigt zu werden,
mir wird schlecht, fühllos – seltsam,
keine Angst, eher Traurigkeit,
alles sinnlos, glücklos, sprachlos,
schweigen und fühlen, wie es mich zerreißt,
schrecklich, diese Stille,
ich fühle mich allein,
kein Mut, um dazubleiben, Wege zu finden,
Hoffnung versickert in einem Stern aus Sand,
und der Verstand versiegt gleich mit,
überlässt sich der Unvernunft, der Sinnlichkeit,
des reinen Genießens,
bar jeder Angst,
jeder Angst, sich zu verlieren, sich völlig zu verlieren,
zu verlieren, um sich wieder zu finden, wieder zu finden,
nur empfinden,
Schreie ungeahnter Lust und ungeahnten Schmerzes,
manchmal möchte ich alles vergessen, mich vergessen,
alles Leid, allen Schmerz,
alle Tage und alle Nächte,
nur daliegen und in die Welt hineinspüren,
meinen Atem, meinen Körper, meine Seele,
meinen wundervollen steifen, weichen Schwanz,
und ich weiß, dass es geht,
auf einmal weiß ich wieder, dass es geht,
und ich wache auf und habe Mut,
und ich weiß wieder, wie stark ich bin,
und ich bin glücklich, dass ich da bin, dass es mich gibt,
ich fühle mich befreit und zufrieden und ––
und ich merke, wie wundervoll es ist, zu leben – zu leben –
zu leben und zu lieben,
sich zu leben und sich zu lieben,
und ich atme durch – mhhhhhhh –
und ich frage mich, warum immer alles so schwierig sein muss, warum?
warum bin ich oft so traurig, so hoffnungslos?
und dann – dann weiß ich irgendwann,
dass ich leben kann – wenn ich bereit bin,
alles zu sehen, alles zu wollen,
alles zu nehmen, alles zu fühlen –
und ich spüre, dass es möglich ist,
ich spüre, dass ich es kann,
und ich kann es, und ich tu es,
und ich sehe, wie lebendig das Leben ist,
wie sehr es auf und ab geht und mich mitreißt,
mitnimmt und fortreißt,
in einem Strudel zwischen Chaos und Gewissheit,
zwischen Vernunft und Unvernunft,
und ich vergesse nicht die schmerzlichen Seiten,
und ich verdränge nicht das Bedrohliche,
und ich leugne nicht das Vorhandene,
sondern nehme es und gebe ihm einen Platz in mir,
lasse es da sein,
und ich weiß, es ist da,
und es ist gut, dass es da ist,
und jetzt brauche ich keine Angst mehr davor zu haben,
und ich weiß, dass ich wieder Zweifel haben darf,
und dass es mir gut gehen darf,
dass ich alles fühlen darf, alles denken darf
und trotzdem meinen Halt nicht verliere, verlieren brauche,
alle Schwankungen nehme,
mir vertraue und darauf vertraue,
dass ich leben kann, wie mich das Leben nimmt,
ohne immer nach einem Sinn zu fragen
und mich dennoch zufrieden zu fühlen,
in der Gelassenheit, mit der das Leben mich umspült.
ls270794
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