Ein Forenmärchen
Ein Forenmärchen
Es war einmal ein guter Mann,
Hatte sein Leben längst gelebt.
Doch weil er halt nicht anders kann,
Bleibt er im Alter sprachbestrebt:
Sich in die Wortwelt einzuleben,
Die lebenslang ihm Heimat war
Und herzklopfend im späten Leben
Das suchen, was ihm wunderbar.
Noch immer bleibt die Vogelweide
Ein wortherrliches Paradies.
Er selbst ist gegen Kampf und Streite:
Die Welt ist Freude – nicht Verlies!
Petrarca steht lorbeerbekränzt,
Weil Laurareime er verhieß,
Ist Vorbild, weil dort Sprache glänzt
Und man ihn frei früh dichten ließ.
Der Alte fliegt in Nachbarländer
Als Vogel mit den eigenen Versen,
Denn er ist gegen alle Ränder
Und gegen Grenzen, Stiefelfersen.
In einem Land kommt er gut an,
Man will dort seine Wortverskunst.
Das zweite Land lebt in dem Wahn:
Nur eigenen Bürgern gilt die Gunst!
So wird er dort übelst geschmäht,
Wo scheinbar Kunstbeflissene wohnen.
Die merken leider viel zu spät
Dass auch die Verse Fremder lohnen.
Doch er zieht sich freundlich zurück,
Bestückt künftig die Heimatforen,
Wo man für ihn noch hat den Blick,
So dass dort geht ihm nichts verloren.
Ganz wenige Foren schneiden ihn,
Wo abgeschlossen die Gemeinschaft.
Die braten dort im Eigensinn –
Mit Kumpanei und Dichterhaft.
Drei Foren aber mögen ihn,
Der immer so schön fabuliert
Und früh recht eigene Wege ging,
Wodurch er andere animiert:
Gedichte einmal selbst zu schreiben,
Den Eigenheiten Freiraum geben,
Die Sprache auf die Höhe treiben
Und auf die höchsten Bergen streben...
In einem Forum gab's viel Poster
Mit einer Wunderkritikerin,
Die sanftmütig für Wortverkoster
Bewahrte ihren Siebten Sinn.
Sie starb, und nun die Forenleitung
Ließ rasch zwei Kritikaster 'ran,
Weil mit Konflikt- und Kampfbereitung
Sie selber halt nicht anders kann.
Böswilligkeit wird toleriert,
Wo einst der Musentempel stand.
Alles ist kumpaneigeführt,
So dass der Dichtkunst drohte Brand.
Als Postingzahlen dann einbrachen
Und niemand das mehr lesen wollte,
Wanderten auch ab die schönen Sachen
Dorthin, wo man noch Duldung zollte.
Wo Foren nur kritikberitten,
Langweilen Kritiker die Geister,
Denn nur der Leitung Favoriten
Ergeben ja noch keinen Meister.
So kommt der gute, alte Dichter
In Foren vor, die ihn gern leiden,
Und wo nicht Henker und nicht Richter
Ständig die Menschenwürde meiden.
Ja, seine Verse werden schöner –
Mit jedem Jahr ein bisschen mehr.
Er ist und bleibt der Wortversöhner,
Liebt weiterhin die Menschen sehr.
©Hans Hartmut Karg
2019
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