Die Kerze

Ein Gedicht von Klaus Lutz
Ich habe eine Kerze angezündet. Das Licht
ausgeschaltet. Sitze in einer Ecke und denke
so in die Nacht hinein. So über all das was
dieses Leben ist. Über diese Behinderung.
Über ein Leben im Rollstuhl. Über die Ein-
samkeit. Über all das was frißt und frißt. Und
immer an Grenzen ist. So das Spiel mit den
Tagen. Die ständige Erfindung von einem
Sinn. Von einem Grund der zählt. Von etwas
das ich höre, sehe, fühle als das Leben von
mir. Wenn nichts mehr da zu sein scheint.
So der Neuanfang. Nach Abstürzen. Nach
Hoffnungen. So immer wieder der Glaube,
das Wissen das mir sagt: „Ich bin!“ Es hat
einen Sinn. Wenn auch nur für mich. Wenn
auch nur für eine Sekunde. Wenn auch nur
als Rettung. Wenn auch nur als Zuflucht.
Vor einer Wahrheit die ich nicht begreife.
Die ich vielleicht nie begreife. So der eine
Funke an Liebe der mir sagt das etwas ist.
Das mir sagt: „Ich bin!“

Ich habe ein Kerze angezündet. Das Licht
ausgeschaltet. Und denke in die Nacht. Ich
sitze in einer Ecke und warte. Nicht auf ein
Wunder. Nicht auf das Morgen. Nicht auf
ein anderes Leben. Nicht auf eine andere
Welt. Ich sitze in der Ecke und warte. Auf
etwas das mir klar wird. Ich denke und warte.
Ich habe den Anfang. Ein kleiner Gedanke.
Ich will. Was hat noch Sinn? Ein kleiner
Gedanke. Ich bin. Was hat noch Sinn? Ein
kleiner Gedanke. Ich versuche. Was hat
noch Sinn? Ich sehe das Licht der Kerze.
Ich sehe Tage und Tage. Und denke so,
immer kommt was Neues. Und denke mir
so, es kommt was Neues. Ich sehe das Licht
der Kerze. Und denke mir so. Den kleinsten
Gedanken, nutze Ihn. Den kleinsten Traum.
Träume Ihn. Den kleinsten Versuch zu leben,
wage Ihn. Gib nicht auf. Ich sehe das Licht
der Kerze und weiß es geht weiter.

Ich habe eine Kerze angezündet. Das Licht
ausgeschaltet. Und sitze einfach nur da.
Benommen von den Tagen. Mit Krankheiten.
Mit unnötigem Ärger. Mit Missverständnissen
und Dummheiten. Ich sitze einfach nur da
und versuche wieder Klarheit zu gewinnen.
Klarheit um wieder lieben zu können. Klarheit
um wieder handeln zu können. Klarheit um
wieder Leben zu können. Klarheit um wieder
zu sein. So wie diese Kerzen. So wie jeder
Mensch. Dieses Licht. Dieses Leben das
zählt. Das etwas ist. Mit all seinen Schwächen.
Mit all seinen Stärken. Mit all seinem
Durcheinander und Chaos. Mit all seinen
Wünschen und Träumen. Mit all dem was
das Leben so ist. Ich sehe diese Kerze und
denke mir so. Ich werde leben. Dann bereite
ich mir einen Tee zu. Und denke mir was
auch immer kommt. Es kann kommen. Ich
bin da! Ich bin hier! Ich lebe! Ich überstehe.

Klaus Lutz

Informationen zum Gedicht: Die Kerze

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14.10.2011
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