Der Fluch, des freundlichen Mannes
Ein Gedicht von
Michael Jörchel
Ein Wanderer zog durch die Straßen eines Ortes.
Nach einer Weile bemerkte er Kinder die hinter ihm her liefen und sich über ihn lustig machten.
Sie ahmten seinen Gang nach, schnitten, hinter seinem Rücken, Grimassen, bewarfen ihn mit kleinen Steinen und Obstkernen.
Der Wanderer drehte sich um und anstatt böse zu werden und sie zu maßregeln lächelte er nur freundlich und erzählte ihnen eine Geschichte.
„Vor vielen Jahren, als ich ungefähr so alt gewesen bin wir ihr, da lebte in meiner Nachbarschaft ein Mann, der zu jedem freundlich gewesen ist und dem niemals ein böses Wort über die Lippen kam.
Trotzdem wurde er, von uns Kindern, verspottet. Er hinkte und konnte nicht richtig reden. Also, für uns, gute Gründe um sich über ihn lustig zu machen. Wir stahlen Obst aus seinem Garten und warfen Schmutz gegen seine Fenster.
Eines Tages kam dieser Mann zu uns Kindern heraus gehinkt und sprach uns mit seiner einzigartigen Stimme an.
„ Ihr werdet mich bald vergessen haben“ sagte er „ aber jedes Mal, wenn der Fluch, den ich über euch verhänge, wirksam wird dann werdet ihr euch an mich erinnern.
Hört mir gut zu.“
Seine Augen blickten nachdenklich und sanft in die Ferne.
„ Irgendwann, wenn ihr erwachsen seid und an Reife und Klugheit gewonnen habt dann werdet ihr auf Menschen treffen die euch verhöhnen und erniedrigen. Menschen, die über euch Scherze machen, über das was ihr seid und über das was ihr tut.“
„Er machte eine Pause“ erinnerte sich der Wanderer“ und bevor er weitersprach, atmete er, tief, die milde Abendluft ein.“
„Wenn ihr in diesem Moment nicht das Bedürfnis verspürt ihnen körperlich zu schaden oder sie ebenso, verbal, zu diffamieren dann habt ihr eine weitere Stufe der Weisheit erreicht und wenn ihr euch erinnert, dass ihr einmal genau so gewesen seid und ihr euch dessen schämt, für das was ihr getan habt, dann habt ihr die Strafe, für euer Handeln, erhalten.
Kaum eine Strafe ist nützlicher als Eine, die jemanden wieder einen Schritt weiter zur Selbsterkenntnis bringt, eine Strafe in der man sich bewusst wird wie wichtig der Respekt und die Demut zu anderen Dingen und Lebewesen ist. „
Der Wanderer beendete seine Geschichte und wandte sich wieder, direkt, den Kindern zu.
„Je älter ich wurde“ sprach der Wanderer weiter „ desto häufiger erinnerte ich mich an diesen Mann. Dieser Mann, dessen Lächeln und Freundlichkeit wir oft als Dummheit und Schwäche angesehen haben. Es dauerte noch einige Zeit bis der „Fluch der Erkenntnis „ mich eingeholt hat.“
Nun liegt es an mir, diesen „Fluch“ an euch weiterzugeben.“
Die Kinder blieben erst schweigend, dann aber wieder höhnisch lachend und spottend zurück.
Schon bald haben sie den Vorfall und auch den Wanderer vergessen.
Bis, eines Tages, viele Jahre später …
© Michael Jörchel