Schnulzen-Flug

Ein Gedicht von Micha Schneider
Das Reimen scheint der Deutschen Frust
denn guter Reim ist selten.
Der Text, auf dem ein Schlager fußt,
läßt Poesie kaum gelten.

 
Nur Schmalz trieft aus den Poren – 
von Lyrik keine Spur.
Der Schlager quält die Ohren:
Die Musik schlecht, der Text – Tortur!

 
Im neuen deutschen Liedgut
„fliegt“ ständig wer herum.
Warum man uns das antut?
Sind Schlagerfans so dumm?

 
Man „fliegt“ und „schwebt“ hier immer 
zum Himmel und zurück.
Das dämliche Gewimmer
dreht sich um Liebesglück.

 
„Willst Du mich lieben, lern’ erst fliegen“,
singt eine Schnulzentante laut.
Sie muß sich selbst belügen, 
wenn’s ihr davor nicht graut.

 
Wenn Schmalzköpfe gern schweben,
dem Himmel nah’ sein woll’n,
dann möchte ich erleben,
daß sie zum Flugplatz roll’n.

 
Dann könnte man sie schicken
auf einen letzten Flug.
Ich denk', das könnte glücken:
Der Mond ist nah' genug.

 
Dies sind aber nur Träume,
die sich niemals erfüll’n.
Der Schlager schwebt durch Räume,
den Schmalzhunger zu still’n.

 
Ich weiß, ich hab’ viel Häme
und Spott für solch' Gesang.
Das nur, weil ich mich schäme
für Text ohne Belang.

 
Doch mir hängt es zum Hals ‘raus,
wenn Lieder sind so blöd.
Dann schalte ich den Mist aus, 
bevor ich jemand töt’!

Micha Schneider 

 

Informationen zum Gedicht: Schnulzen-Flug

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10.03.2015
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