Gedenke!
Ein Gedicht von
Kellerkind
Hörten wir die Abendglocke läuten,
sprach die Mutter: "Mensch, was mag's bedeuten,
dieser Tag hat abgenommen,
also wird der Tod her kommen.
Lieber Mensch, so schicke dich,
dass du sterbest seliglich."*
Und ich dachte:
"Abendglöcklein, hör nicht auf zu künden
von dem Grunde, der allein uns ewig hält!
Wird der Herr noch Treu und Glauben finden,
wenn er wiederkommen wird in unsre Welt?"
"Alte Zöpfe," sagt der Mensch von heute,
"dafür haben keine Zeit die Leute!"
Horch, die Glocke tönt vom hohen Turm,
vom Straßenlärm umtost gleichwie vom Sturm!"
Zählt nicht der Glockenschlag die Stunden schon,
bis wiederkommen wird der Gottessohn?
Und ich flehe:
"Lass noch viele, viele zu Dir finden,
zu dem Grunde, der allein uns ewig hält!
Hilf uns, dass wir treu den Glauben künden
bis Du wiederkommst in unsre Welt!"
* "Lieber Mensch, was mag's bedeuten... u.s.w." war ein traditionelles Gebet beim Abendläuten (sog. Gebetsläuten) im mittelfränkischen ländlichen Raum.