Papageien Sehnsucht
Ein Gedicht von
Gisela Danisman
Der Ara ist ein Papagei
mit starkem Schnabel und viel Geschrei,
schön bunt ist sein Gefieder,
doch singen kann er keine Lieder.
Stumm sitzt eine Frau am Tisch,
nicht mehr jung und nicht mehr frisch.
Einsam wollt‘ länger sie nicht sein,
drum kaufte einen Kamerad sie ein.
Das Sprechen hat sie ihn gelehrt,
den Vogel gut umsorgt und gut genährt,
voll Freude teilt sie jeden Tag
mit dem Vogel, der sie mag.
Doch eines Tages steht sie da,
weiß nicht mehr wer sie ist und wo sie war,
schaut auf Ara Hansi runter,
doch der war traurig und nicht munter,
was die Alte sehr bedauert,
während Hansi träumend auf der Stange lauert.
Sprich mit mir mein lieber Wohngenosse
und komm herunter von der Sprosse.
Mach auf die Augen und laß sie blitzen,
dann darfst du auf meiner Schulter sitzen.
Doch der Vogel sich nicht rührt,
was zu ihren Ängsten führt.
In seinem Gitterstäbchenkäfig eingeschlossen
schaut der Vogel tief verdrossen,
weil gestört er in dem Traum,
wo er gerade fliegt von Baum zu Baum.
Sehnsucht nach der Heimatsonne,
Höhenflüge voller Wonne,
von Ast zu Ast will er sich schwingen
und erkunden all die unbekannten Dinge.
Heimweh nach der eig’nen Sippe,
fliegend über Berg und Tal und Klippe,
seine Familie möchte gern er finden,
um die große Sehnsucht zu überwinden.
Im fernen Urwald irgendwann,
da wollt‘ er leben dann,
sich von Baumkronen stolz erheben
und endlich in der Freiheit leben.
Von Liane zu Liane gleiten
in der Wälder unendlichen Weiten.
Noch tief in seinen Traum versunken,
hörte er die Alte unken.
Ganz sachte blickt sie Hansi an
und öffnet ihm den Käfig dann,
macht auf das Fenster himmelweit
flieg mein Vogel – es ist nun Zeit.
Ganz unbewußt hat sie gespürt,
daß den Vogel sie verliert.
Doch hat im Vergessen sie nicht bedacht,
daß kein Vogel über Nacht
eine Fähigkeit erlernt, die unbenutzt,
weil seine Flügel man hat gestutzt.
So stürzt sich Hansi voller Hast
auf den nächstgelegenen Ast.
Nun nimmt das Unglück seinen Lauf,
weil Freiheit frißt den Vogel auf.
In Gefangenschaft war er daheim,
nun sitzt er da und ist allein.
Nie hat er gelernt für sich zu sorgen
und zu überleben bis zum nächsten Morgen.
Gar fremd und rauh ist diese Welt,
der er mißtraut und die ihm nicht gefällt.
Zurück möcht‘ er zu dieser Frau,
doch wie, das weiß er nicht genau.
Die Alte hat recht unverdrossen
im Vergessen das Fenster schon geschlossen.
Im Sessel ließ sie sich dann nieder
und ruhend streckt sie ihre Glieder,
schließt die Augen höchst zufrieden
und ist friedlich alsbald verschieden.
Ein Nachbar sieht den Vogel hocken
auf dem Ast der dürr und trocken.
Mit viel Gespür und guten Worten
kann das Tier ihn endlich orten.
Fliegt auf seine Schulter nieder,
schüttelt locker sein Gefieder,
krächzt dann laut ins Ohr des Herrn,
ich bin der Hansi und bleibe gern!
28.05.2018Gisela Danisman