Vertriebene Zeit
Ein Gedicht von
Anita Hasel
Müde noch, im Bademantel,
bin ich starr, vor Schrecken bleich.
Hör’ vom Crash am Börsenhandel,
Aktienkurse fallen gleich!
Schweift mein Blick durch die Rubriken,
tropft Kaffee auf’s Feuilleton.
Zwischen Honigbrot und Kriegen
läutet laut das Telefon.
Ampeln, Autos, Menschenmassen,
rasen grau an mir vorbei.
Brainstorming beim Wasserlassen
macht den Kopf dann wieder frei.
Wie hab’ ich die Zeit vertrieben,
dass sie floh wie ein Gespenst?
Wo ist nur der Tag geblieben?
Im Nirwana ist er längst!
Mittagspause, reden, kauen,
immer mit dem Blick zur Uhr.
Nebenbei, beim E-Mails schauen,
freundlich grüßen auf dem Flur.
Zu dem nächsten Treffen hetzen –
Internet gibt’s auch im Zug.
Kann mich mit der Welt vernetzen,
Konkurrenz, die gibt’s genug.
Wie hab’ ich die Zeit vertrieben,
dass sie rann durch meine Hand?
Wo ist nur mein Jahr geblieben?
Ungenutzt und unerkannt!
Auch der Doktor kann nichts finden,
sparsam ist sein rascher Rat.
Sollt’ ich mich vor Schmerzen winden,
wär’s um seine Kasse schad’.
Also hau’ ich in die Tasten,
frag’ das World Wide Web: Warum?
Probier’ alles – außer Fasten,
doch die Werte bleiben krumm.
Wie hab’ ich die Zeit vertrieben,
dass sie schwand in einem Nu?
Nur der Tod ist mir geblieben,
ewig währet dann die Ruh’.
Kann schon bald auf Wolke Sieben
endlich tun, was ich versäumt:
Sinnen, spinnen, leben, lieben,
und das sein, was ich erträumt.
Dumm ist nur, ich kann’s nicht drehen.
Ignoranz ist einerlei.
Sicher wird der Traum verwehen,
denn mein Leben ist
vorbei.
© 2009 Anita Hasel