Flüchtling, Flüchtling an der Wand
Ein Gedicht von
Anders Levin
Flüchtling, Flüchtling an der Wand,
wer ist der Ärmste in unserm reichen Land?
Ist's der allseits verehrte Vater Staat,
der mit jedem Gesetz aufs Neue versagt?
Ist's die Mutter Politik, die in einem fort verspricht:
"Alles wird gut und besser!" — doch das wird es nicht?
Ist's Bruder Kirche, der in Krisenzeiten gern vergisst
die Worte und Taten seines Herrn Jesu Christ?
Ist's Schwester Bürokratia, die die Kindlein bei der Hand
mit süßen Worten zurückführt ins heimatlose Land?
Ist's der Onkel Nachbar, der mit erhob'ner Flagge keift,
wenn sein ängstlicher Blick einen Fremdling streift?
Ist's der Neffe Gutmensch gar, dessen Finger in der Wunde
unansehnlich tiefer bohrt von Stund' zu Stunde?
Oh Flüchtling, Flüchtling an der Wand,
gewiss ist's nicht das Kind in uns'rem Land,
dessen Unschuld nicht in Begrifflichkeiten denkt,
sondern jedem Wesen auf Erden sein Lächeln schenkt!
Sag Flüchtling, Flüchtling an der Wand,
bin ich selbst also der Ärmste hier im Land,
der ich Däumchen dreh', mich duck' und drüber sinne,
wann ich je mein menschlich Herz zurückgewinne?